Schulvorbereitende Maßnahmen: „Wird ein entspanntes Jahr, Mama“

Wenn das Kind mal Medizin studieren soll, äh, will, dann muss man sich halt schon vor dem letzten Grundschuljahr ein paar Sorgen machen.

Eine 2 auf einer Fußball-Anzeigetafel

So eine 2 im Schnitt ist in der Schule keineswegs erstligatauglich Foto: dpa

Die Kinder haben ein beneidenswert unkompliziertes Verhältnis zum nagelneuen Jahrzehnt. „Ni-hix“, wehrt der Fünfjährige meine naive Frage ab, was so ein Fünfjähriger sich vielleicht erwarten könnte von dem Jahr, welches er da gerade mit einer Wunderkerze in der Hand auf der Dorfstraße hopsend in Irgendwo begrüßt. Er muss sich auf die Medium-Size-Tüte Feuerwerk vom Supermarkt konzentrieren, die der große Bruder gerade glückselig mit dem (heimlich nicht minder begeisterten) Großvater in die Luft sausen lässt.

Tatsächlich hat das Raketengezische in Irgendwo einen gewissen Reiz, die Farben im ansonsten einfach echt mal dunklen Nachthimmel dort. Schon klar, trotzdem Mist für die Umwelt (deshalb auch nicht das Big Pack aus dem Supermarkt – immerhin!), und wie krass Silvester für die Tiere ist, hört man auf dem Land übrigens besonders gut, wenn es um halb eins wieder totenstill wird und nur die Wildgänse ewig nicht zur Ruhe kommen über den Feldern und das alte Pony völlig fertig ist und mit Schnappatmung in der hintersten Zaunecke steht.

„Ni-hix“ hat sich auch der Zehnjährige vorgenommen und guckt in den Neujahrsnebel aus Raketendunst und echtem Bodennebel, der langsam aus den Wiesen hochkriecht.

„Echt, nix?“, frage ich. „Nö. Wird ein entspanntes Jahr, Mama“, sagt er.

Kluges Kind. Ich finde diese Einstellung für sein letztes Grundschuljahr, das im Sommer beginnt, äußerst gesund und hoffe, dass er seine Antistressattitüde voll durchzieht. Denn wenn sich der Nebel mal gelichtet hat, ist Neujahr vorbei, die Feiertage sind endgültig gefeiert, und in der Schule stehen die letzten Halbjahreszeugnisse an, bevor es dann mit dem Sommerzeugnis so richtig zählt fürs Gymnasium, Pardon, für die weiterführende Schule – aber nein, eigentlich fürs Gymnasium, denn was anderes kommt für die Eltern an der Schule des Zehnjährigen eigentlich nicht infrage.

Die Grundschul­eltern werden langsam nervös. Der Notenschnitt an den nachgefragten Gymnasien dieser Stadt ist bekannter-maßen gnadenlos

Relativ gnadenlos

Die Grundschuleltern werden langsam nervös. Der Notenschnitt an den nachgefragten Gymnasien dieser Stadt ist bekanntermaßen relativ gnadenlos, einige der – ob nun zu Recht oder zu Unrecht – bei den Eltern hoch im Kurs stehenden Schulen befinden sich auch noch in unserem Bezirk.

Wer da mit einem Schnitt von 2,0 ankommt, kann gleich nach Reinickendorf fahren oder nach Spandau oder hoffen, dass die – ob nun zu Recht oder zu Unrecht – beliebten Sekundarschulen in der Nähe noch nicht völlig überfüllt sind mit Kindern, die es mit „nur“ 1,8 nicht aufs gehypte Gymnasium nebenan geschafft haben. Weshalb die Eltern den Nachwuchs lieber gleich auf der „soliden“ Sekundarschule mit dem „guten Ruf“ geparkt haben, statt in der Gymnasiumslotterie dann womöglich noch irgend so eine „Problemschule“ jwd zu ziehen. Und dann aber gute Nacht, wenn das Kind mal Medizin studieren soll, äh, will. (Spandau hat übrigens sicher total tolle Schulen, in einer war ich sogar berufsbedingt schon. Die in Reinickendorf sind bestimmt auch gut.)

Eigentlich nichts zu besprechen

Im Januar ist also Elternversammlung in der Klasse meines Sohnes. Wobei die Klassenlehrerin eigentlich gar nichts zu besprechen hat, wie man dem länglichen Mailverkehr zwischen dem engagierten Elternvertreter und ihr selbst entnehmen kann: Die Klasse ist nett, es geht voran, mischt euch nicht ein, Eltern! (Letzteres steht da nicht.)

Aber die Bemerkung von zwei, drei Kindern zu Hause, die Mathelehrerin habe gesagt, die Klasse sei noch nicht so weit, wie sie sein müsste, hat die Eltern aufgescheucht. Wie sie das nachzuarbeiten gedenke, die Mathelehrerin, das wollen die Eltern jetzt wissen. (Das Gymnasium nebenan hat, wie gesagt, eine echt harte Tür.)

Und überhaupt, schrieb eine Mutter, sie erlebe Eltern, Lehrer und Kinder so dermaßen „unter Druck“, da könne doch ein wenig „persönlicher Austausch“ nur guttun.

Die Idee, die Mathelehrerin vorzuladen, scheiterte dann lustigerweise am fehlenden Druckempfinden selbiger. Sie verfasste ein paar amüsante handgeschriebene Zeilen, wo sinngemäß steht, dass die Kinder alle sehr nett und vielleicht ein bisschen faul seien. Ansonsten alles okay. Herzliche Grüße.

Den Zettel fotografierte der engagierte Elternvertreter sogleich ab und heftete das Dokument einem seiner vielen Mails an, gleich neben dem PDF mit dem Berliner Schulgesetz beziehungsweise dem Paragrafen, wo steht, dass Eltern das Recht auf drei Elternversammlungen im Halbjahr haben. (Vermutlich auch dann, wenn es nichts zu besprechen gibt.)

Die Klassenlehrerin gab sich geschlagen, die Versammlung findet statt. (Die Mathelehrerin kann als „nur Fachlehrerin“ den Elterndruck ignorieren.)

Rattenrennen um die Poleposition

Ich bin übrigens längst nicht so entspannt wie mein Kind. Ich habe echt keinen Bock auf dieses Rattenrennen um die Poleposition für die besten Schulplätze. Ich habe keine Lust, ihn schon in der Grundschule auf einen Notenschnitt von unter 2,0 zu fixieren.

Ich habe auch keine Lust, dass mein Kind an irgendeine Schule kommt und dort unglücklich ist. Ich fürchte, der Fehler liegt im (Schul-)System.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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