: „Die Frau ist meist Objekt, der Mann das Subjekt“
In Hamburg untersucht eine Ringveranstaltung das Verhältnis von „Film – Musik – Gender“: Die Musikwissenschaftlerinnen Nina Noeske und Beatrix Borchard über musikalische Kontraste, den männlichen Blick und hartnäckige Vorurteile
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Interview Wilfried Hippen
taz: Frau Noeske, welche Rolle spielt der Ton im Film für die Konstruktion von Körper und Geschlecht?
Nina Noeske: Beispielsweise lässt sich an Veit Harlans Film „Anders als du und ich (§ 175)“ von 1958 zeigen, dass hier mit musikalischen Kontrasten gearbeitet wird, die unmittelbar bestimmte sexuelle Identitäten markieren und teilweise auch bewerten: Die ‚gesunde’ Heterosexualität, das heteronormative Milieu, wird hier durch klischeehafte, tonale und fast ein wenig langweilige Hollywood-Musik gekennzeichnet, während auf der anderen Seite Homosexualität unter anderem mit avantgardistischer „Elektronenmusik“ auf einem Trautonium als das Abweichende, Unnormale, Unmenschliche, aber auch Interessante herausgestellt wird. Insbesondere die musikalische Ebene trägt in diesem Film also dazu bei, dass die explizite Botschaft des Films – der Sieg über abweichende Sexualitäten – so eindeutig letztlich nicht ist.
Gibt es auch Beispiele im klassischen Hollywoodkino?
Noeske: Da wären die Hitchcock-Filme, unter anderem „Vertigo“, in denen den beiden Geschlechtern – und den unterschiedlichen Frauentypen – klischeehaft unterschiedliche Musiken zugeordnet werden. Fündig wird man auch in den Filmen von Walt Disney, etwa in dem Cartoonfilm „Music Land“ von 1935, einer Folge der „Silly Symphonies“, die von einer weiblichen Geige und einem männlichen Saxophon handelt, die am Ende als Liebespaar zusammenkommen.
Frau Borchard, in ihrem Vortrag am kommenden Dienstag reden Sie über die Frauen- und Männerbilder in verschiedenen Schumann-Filmen. Warum gerade Robert Schumann?
Beatrix Borchard: Robert Schumann ist deswegen besonders interessant, weil bei ihm nichts in ein herkömmliches Geschlechteraster passt. Anders als etwa Beethoven konnte man ihn im Film nicht zu einem einsamen Genie stilisieren, der die Faust gegen das Schicksal schüttelt, sondern er wird immer in einer Konstellation gezeigt, vor allem mit seiner Frau, der Pianistin und Komponistin Clara Schumann. In dieser Konstellation hat sie den traditionell „männlichen“ Part: Sie ist für die Öffentlichkeit erzogen, sie verdient das Geld, schützt ihn nach außen, etc.
Wurden im Kino nicht lange die Töne ebenso wie die Bilder von einem männlichen Blick (oder besser Hören) beherrscht?
Noeske: Ja, der Diskurs des male gaze lässt sich, zumindest im kommerziellen Hollywood-Film, sicherlich auf die Tonebene übertragen: Es geht um die Herstellung von visueller und akustischer Lust; die Frau ist hier meist Objekt, der Mann hingegen das Subjekt, das Identifikationsmöglichkeiten bietet. Sicherlich ist dies für die optische Ebene deutlich leichter herauszuarbeiten, und in der Filmmusikforschung gibt es bislang kaum Arbeiten, die sich explizit mit Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern beschäftigen. Teilweise wirkt die Filmmusik aber zweifellos an der Lenkung des viel zitierten male gaze mit, etwa zu Beginn von Hitchcocks „Vertigo“, wenn Scottie erstmals Madeleine erblickt. Der männliche Blick rastet dann gewissermaßen ein, wenn die melancholische Melodie, die Madeleine kennzeichnet, ihren Höhepunkt erreicht.
Die Filmmusik, etwa bei einer Romanze und bei einem Actionfilm, richtet sich jeweils an ein mehrheitlich weibliches oder männliches Publikum. Wie unterscheiden sich da die musikalischen Mittel?
Noeske: Traditionell ist die Musik bei einem Actionfilm sicherlich rhythmisch markanter, lauter, bewegter, schneller als bei einer Liebesromanze, die beispielsweise – je nach Inhalt – eher seichte Unterhaltungsmusik, gefälligen Jazz oder etwa sanfte Streicherkantilenen beinhaltet. Dies soll vermutlich die jeweiligen Vorlieben der beiden Geschlechter bedienen.
Im Großen und Ganzen: Mit welchen musikalischen Mitteln wird bei der Geschlechterkonstruktion im Film gearbeitet?
Noeske: Befragungen haben ergeben, dass die Zuordnung bestimmter Filmmusiken zu den Geschlechtern tatsächlich verhältnismäßig stereotyp erfolgt: Schnelle Tempi, Stakkati, Synkopierungen, die Genres Jazz und Rock beispielsweise sind eher männlich konnotiert, während langsame Tempi, Legati, stärkere Dynamikwechsel und klassische Musik eher weiblich konnotiert sind. Auch auf dem Gebiet der Instrumentation gibt es bereits seit dem 19. Jahrhundert hartnäckige Klischees, die sich im 20. Jahrhundert die Filmmusik zunutze gemacht hat: Holzbläser, Harfe und Streicher werden häufig Mädchen und Frauen zugeordnet, Blechblasinstrumente und Schlagzeug hingegen den Männern.
Gibt es grundsätzlich Unterschiede bei den Arbeiten von Filmkomponistinnen und -komponisten?
Noeske: Im traditionellen Hollywood-Kino des 20. Jahrhunderts gibt es kaum Filmkomponistinnen und auch heute ist das Gewerbe weitgehend männlich dominiert. Rachel Portman, die unter anderem die Musik zu „Chocolat“ komponiert hat, ist nach wie vor eine der wenigen Ausnahmen. Nach allem, was wir wissen, lässt sich die Frage: „Komponieren Frauen anders als Männer?“ auch mit Blick auf die Filmmusik verneinen. Ein schönes Beispiel ist die kompositorische Zusammenarbeit des Ehepaares Louis und Bebe Barron für den Science-Fiction-Film „Forbidden Planet“ aus dem Jahr 1958: Es handelt sich dabei ausschließlich um elektronische Musik, und man kann an keiner Stelle sagen, wer hier jeweils die musikalische Federführung hatte.
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