Illustration: Christian Barthold

Eigentlich ist es ja nur eine willkürliche gesetzte Zäsur im Ablauf der Tage, eine Spielerei mit Daten. Irgendwann nach Silvester hängt man den alten Wandkalender ab, ersetzt ihn durch einen neuen und trägt die ersten Termine des noch jungen Jahres ein. Das Leben wird nicht plötzlich ein anderes, nur weil auf dem Kalender eine andere Zahl steht. Was einen im Dezember umgetrieben hat, beschäftigt einen meist noch genauso im Januar. Unliebsame Dinge im alten Jahr zurücklassen? So richtig klappt das ja eigentlich nie.

Obwohl man das natürlich alles weiß mit der willkürlichen Setzung und dass die Erde sich ungerührt weiterdreht, egal welche Zahlen die Menschen ihren Tagen geben, wird das Gefühl bei diesem Jahreswechsel doch ein besonderes sein, denn am 1. Januar beginnt ein neues Jahrzehnt. Willkommen in den neuen 20ern!

Das Wort „neu“ ist hier wichtig, denn kein anderes Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ist so mythen­umwoben und zurzeit so medial präsent wie die 1920er. Wenn man jetzt wieder von „den 20ern“ spricht, blickt man auf die kommenden Jahre daher mit einer historischen Folie im Kopf. Und gibt es nicht tatsächlich große Parallelen? Technische Neuerungen veränderten das Leben damals grundlegend – neue Medien, viel mehr Informationen und visuelle Eindrücke. Die gesellschaftlichen Positionen waren längst nicht mehr so festgezurrt wie noch im Kaiserreich, das hieß aber auch, man konnte viel schneller absteigen. Eine Erfahrung, die in der Hyper­inflation 1923 sehr viele machten. Dazu kam die extreme politische Polarisierung.

Wenn wir heute auf diese Dekade blicken, dann meist mit einer Mischung aus Bewunderung für deren lebhafte Kultur und gesellschaftliche Modernisierungsleistung und Schauder, weil am Ende der Weimarer Republik die Terrorherrschaft der Nazis stand. Wobei das in den 1920ern noch keineswegs festgeschrieben war, die Geschichte hätte auch einen ganz anderen Verlauf nehmen können.

Wenn wir auf den folgenden Seiten in die Zukunft schauen und uns fragen, wie wir in den neuen 20ern leben, lieben, arbeiten, essen, wohnen und Politik gestalten werden, ist es wichtig diesen Gedanken im Hinterkopf zu behalten: Nichts ist bereits festgeschrieben. Ja, wir nehmen Ballast aus dem nun vergangenen Jahrzehnt mit, Rechtspopulisten haben in vielen Ländern die Demokratie stark beschädigt und der Kampf gegen die Erderhitzung ist bisher allenfalls schleppend in Gang gekommen. Aber die Geschichte der neuen 20er ist noch nicht geschrieben. Es liegt auch an uns, wie sie ausgeht.

Aber erst mal einen guten Rutsch!

Jan Pfaff