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„Unfälle“ am Herd

Indiens brutal patriarchalische Verhältnisse: der Roman „Mädchen brennen heller“ von Shobha Rao

Von Carola Ebeling

Shobha Rao weiß allzu gut, worüber sie in ihrem Debütroman schreibt: Als Siebenjährige emigrierte die Autorin mit ihrer Familie aus Indien in die USA. Lange arbeitete sie als Rechtsanwältin auf dem Gebiet häuslicher Gewalt und vertrat insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund. Heute ist Rao ausschließlich Autorin, nun sind die Lebenssituationen von Frauen ihr literarisches Sujet.

Das war bereits in ihrem Erzählband „An Unrestored Woman“ von 2016 so, der um die Teilung Indiens 1947 kreist. Und so ist es auch in der Geschichte von Purnima und Savita, 16 und 17 Jahre alt, die sie in „Mädchen brennen heller“ erzählt. Der Roman, der es auf die Bestenlisten der USA schaffte, beginnt 2001 in einem kleinen indischen Dorf. Beide Mädchen gehören der Weberkaste an. Purnima hat nach dem Tod der Mutter deren Rolle inne, Savita beginnt für Purnimas Vater am Webstuhl zu arbeiten.

Rao erzählt zunächst vom Wachsen einer innigen Freundschaft, in der Savita die Sicherere und Stärkere ist. So ärmlich die Verhältnisse, in denen beide leben, so wurde sie als Mädchen doch wertgeschätzt – während Purnimas Vater über eine möglicherweise vertane Chance witzelt, sie schon als Baby ertrinken zu lassen: „Da lachte ihr Vater kurz auf. ‚So ist es doch mit Mädchen, oder?‘, sagte er. ‚Wann immer sie am Rand von irgendwas stehen, kannst du einfach nicht anders. Du denkst: Ein Stoß. Mehr bräuchte es nicht. Nur ein kleiner Stoß.‘“ Und schon wäre man die Tochter los, die wirtschaftlich nur eine Last ist, die verheiratet und mit einer Mitgift versehen werden muss.

Rao beschreibt die zutiefst patriarchalen Traditionen, wonach Söhne viel, Töchter wenig oder nichts zählen. Savita widerfährt eine brutale Gewalttat – sie flieht. Purnima wird in eine sie demütigende Familie verheiratet, und schließlich, weil der Vater einen Teil der Mitgift nicht nachreicht, Opfer jener bis heute häufigen, oft tödlichen Attacken, die nach außen als „Unfälle“ am Herd verkauft werden: Ehemann und Schwiegermutter verbrennen sie mit heißem Öl.

Doch auch sie wird sich nicht beugen, sondern das Dorf verlassen, getrieben von dem Wunsch, Savita wiederzufinden. Nun erzählt die Autorin abwechselnd aus beider Perspektiven: von Zwangsprostitution und Menschenhandel; von moderner Sklaverei, in Indien wie in den USA. Von einer maßlosen Brutalität, die von Männern ausgeübt, von Frauen komplizenhaft mitgetragen wird.

Zu Beginn irritiert die sehr einfache, fast naiv wirkende Erzählweise, eine Sprache, deren Metaphern mehrfach zu dick aufgetragen sind. Große, komplexe Gefühle werden auf einfache Behauptungen heruntergebrochen. Die Verlagerung der Handlung in die USA macht die Erzählung dynamischer, die Figuren ambivalenter. Die Erzählkraft Raos scheint fast wie befreit, nimmt die Leser*innen mit.

Sie traut sich, die Brutalität der sexualisierten Gewalt konkret zu beschreiben. Es gelingt ihr, den Alltag heutiger „Sklavinnen“ näher­zubringen. Manchmal aber droht eine Art ermüdete Abstumpfung angesichts des Ausmaßes an Leid. Diksha Basu, ebenfalls Schriftstellerin indischer Herkunft und in den USA lebend, warf Rao vor, es sei gefährlich, wie sie über Inder*innen schreibe, sie vermittle ein so negatives Bild. Doch trifft diese Einseitigkeit nicht zu. Und die beschriebenen Verhältnisse sind bis heute eine weit verbreitete Realität, auch in den Städten, auch in der Mittelschicht und trotz einer inzwischen guten Gesetzgebung.

Sicher kann man vielschichtiger über diese Thematik schreiben, doch hat es etwas für sich, dazu eine so vehemente, feministische Stimme in einem Bestsellerroman zu vernehmen.

Shobha Rao: „Mädchen brennen heller“. Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Wolf. Elster & Salis, Zürich 2019, 382 Seiten, 24 Euro

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