Zwischen Krieg und Frieden

Eine Trauerfeier für einen in Rojava gefallenen Potsdamer. Eine Berlinerin, die in Nordsyrienin einem Ärzte­team arbeitet. Und junge Menschen, die sich in Berlin mit Rojava solidarisieren: Was fasziniert die linke Szene so sehr an der kurdischen Bewegung?

Kämpfen in Rojava fordert Opfer, auch deutsche wie Michael Panser aus Potsdam Foto: Fo­to: ­Mark Mühlhaus/attenzione

Von Fabian Grieger

An einem Samstagnachmittag Anfang Dezember sind in Potsdam mehr als 150 Menschen gekommen, um des gefallenen Guerillakämpfers Michael Panser zu gedenken. Panser kämpfte für die kurdische Selbstverteidigungseinheit HPG und ist bei türkischen Luftangriffen im Irak im Alter von 30 Jahren ums Leben gekommen.

Auch seine Familie ist da, zum Gedenken ihres Sohns, der jetzt ein Held für die kurdische Bewegung ist. „Die Toten sind unsterblich“, sagt Şengê Kahraman, die Co-Vorsitzende des kurdischen Komitees für die Gefallenen auf der Bühne des großen Saals.

Am Ende des Raums hängen Fotos von den verschiedenen Lebensabschnitten von Panser, der in der Nähe von Potsdam aufgewachsen ist. Man sieht ihn zunächst als blonden Jungen im Kindergartenalter, der mit seinen Freunden spielt. Später als Teenager mit langen Haaren und Antifa-Aufnähern auf der Jacke als Punkrock-Bandleader. Einige Jahre später in Chiapas bei den Zapatistas und schließlich mit der Waffe in den kur­dischen Bergen. Panser änderte immer dann seinen Namen, wenn er einen Abschnitt hinter sich gelassen hat, zuerst nannte er sich Xelil, schließlich Bager.

Zur Trauerfeier sind Menschen zusammengekommen, die ihn unter seinen drei verschiedenen Namen kannten. Die Band spielt an diesem Tag nach vielen Jahren noch einmal ihre Lieder für Micha. Ein Freund erzählt, dass in seinem Wohnzimmer ein Bild von ihm an der Wand hängt und er ihn so jeden Tag bei sich hat. Seine Aufgabe sei es, nun den Kampf von Micha weiterzuführen. Ihm kommen die Tränen.

Später wird ein Video aus Rojava eingespielt. Da singt die Tochter einer befreundeten kurdischen Familie ein Lied für Xelil. Und in einem weiteren Video grüßen andere internationale Freiwillige Bager und erzählen Anekdoten.

Alle betonen, wie Panser stets auf der Suche nach dem Weg zur Schaffung einer besseren Welt war. Leseversessen verschlang er Bücher und liebte stundenlange Diskussionen; immer ist auch die Musik dabei. Eine Gitarre, eine Geige, sein Gesang. Sie haben an diesem Abend politische Texte von Panser als kleines Buch ausgelegt.

Darin schreibt er: „Eine Teilnahme in den Reihen der Verteidigungskräfte Kurdistans entspricht auch einer Aufgabe und Verantwortung der Jugend Europas. Ohne die Revolution im Mittleren Osten wird eine Revolution in den Ländern der westlichen Metropole nicht möglich sein.“ Stattdessen seien aber viele seiner FreundInnen von einer Hilflosigkeit gefangen, in der sie sich „einfach überhaupt nicht vorstellen können, ihren sicheren Raum von Studium, BAföG, Stipendium zu verlassen, nur aus politischem Idealismus“.

Panser hat sie überwunden, die Angst, die verhindert, loszugehen. Bei der Trauerfeier hängt sein Konterfei neben den von zahlreichen anderen in Kurdistan gefallenen In­ter­na­tio­na­lis­t*in­nen. Panser wirkt auf den meisten Bildern ernst, manchmal ist auch ein geheimnisvolles Lächeln in seinem Gesicht. Er wirkt tatsächlich so entschlossen, wie er beschrieben wird.

Wer in die kurdische Soli-Szene eintaucht, merkt relativ schnell, dass Pansers Weg kein seltsamer, sondern ein konsequenter war. Er dachte oft dar­über nach, Journalist zu werden, um die Ideen der Bewegung der Öffentlichkeit zu vermitteln. Nun ist seine Trauerveranstaltung eine journalistische Herausforderung: Wie lässt sich dar­über schreiben?

Die schmerzvollen Tränen der Angehörigen und Freunde, die Sprechchöre der kurdischen Bewegung und eine lateinamerikanische Band, die ein Lied der chilenischen Widerstandsikone Victor Jara spielt, ergeben zusammen ein Bild, das für Außenstehende konfrontativ wirkt, ja herausfordernd, manchmal schwer auszuhalten.

Fragen drängen sich auf: War Pansers Entscheidung die richtige? Und wem steht zu, das zu beurteilen, außer ihm selbst? Wie vertragen sich der Schmerz der Angehörigen mit der politischen Einbettung der Trauerfeier?

Ob Instrumentalisierung oder nicht, vermutlich ist die Trauerfeier so, wie Michael Panser sie sich gewünscht hätte.

Die Familie schreibt über ihren Sohn: „Wir sind erst am Anfang der Aufarbeitung der hinterlassenen Texte, aber schon jetzt ist erkennbar, dass wir – und die Welt – noch viel von ihm hätten erwarten können.“

Michael Panser in Rojava; das Bild hat seine Familie der taz zur Verfügung gestellt Foto: privat

Wie Michael Panser haben sich seit Juni 2013 nach Verfassungsschutzangaben rund 270 Personen aus Deutschland – darunter rund 120 deutsche Staatsangehörige –, in die kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien begeben. Dort schlossen sie sich den verschiedenen Kampfeinheiten der PKK oder der syrischen Schwesterorganisation Partei der Demokratischen Union (PYD) an. Etwa die Hälfte von ihnen ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt, rund 20 Personen aus Deutschland sind vor Ort ums Leben gekommen.

Was treibt Menschen hierzulande an, ihr Leben hinter sich zu lassen und sich dem kurdischen Freiheitskampf anzuschließen?

Jiyan Bengî kennt Michael Panser noch aus seiner Zeit in Rojava, Nordsyrien, befreites kurdisches Gebiet. Dort trafen sich die Berlinerin mit kurdischem Pseudonym „Jiyan“ und der Potsdamer mit kurdischem Namen „Bager“ mehrfach. Der eine griff zur Waffe und ging in die Reihen der Guerrilla, die andere entschied sich, mit dem Medical-Team Erste Hilfe zu leisten.

Während die Trauerfeier von Michael Panser stattfindet, ist Jiyan immer noch in Syrien und erklärt sich zu einem verschlüsselten Telefongespräch bereit, um über Internationalismus und ihre Faszination für die kurdische Bewegung zu sprechen.

Als sie anruft, ist es ein Sonntagmorgen, und Jiyan ist schon seit mehreren Stunden auf den Beinen. Sie befindet sich mit ihrem Medical-Team nahe der Front zwischen kurdischen Einheiten und der türkischen Armee. Wird jemand verletzt, erhalten sie einen Anruf. „Wir brettern dann dahin, um die rauszuholen“, erklärt Jiyan und berlinert dabei. Der Regen verschafft ihr heute eine Atempause – die schlechte Sicht und die nassen Straßen bremsen die Gefechte. Daher kann sich Jiyan Zeit für ein Telefonat nehmen. Sie sitzt vor einem Krankenhaus; dahinter seien ein Feld, das gerade grün wird, und Olivenbäume. Dann ruft jemand etwas, und Jiyan antwortet auf Kurdisch.

Trotz Beschreibung fällt es schwer, sich vorzustellen, wo Jiyan gerade ist. Dabei ist Rojava viel näher an Berlin, als es zunächst wirkt. Nicht nur durch die Verflechtung deutscher und türkischer Politik auf der einen, sondern auch durch die Solidarität der linken Szene mit der kurdischen Bewegung auf der anderen Seite. Jiyan ist Teil einer neuen „Generation Internationalismus“, der sich von Kurdistan bis nach Berlin erstreckt. Was früher Kuba oder Nicaragua waren, ist heute Rojava. Der Ort, an dem es so scheint, als ob eine reale sozialistische Praxis möglich ist.

In Berlin übt die kurdische Bewegung eine große Faszination auf viele Menschen aus. Einige gründen Initiativen in der deutschen Hauptstadt. Andere reisen bis nach Rojava. Und wieder andere bleiben dort.

Menschen wie Jiyan sind dabei so etwas wie die Brücke zwischen den Welten. Die 36-Jährige ist seit 2015 in Nordostsyrien, davor lebte sie in Berlin und hieß noch nicht Jiyan Bengî. Den Namen nahm sie an, nachdem eine Freundin und Kommandantin der Frauenselbstverteidigungseinheit YPJ im Kampf verblutet ist. „Ich mag den Namen aber auch aus einem anderen Grund“, sagt sie. „Jiyan heißt Leben. Und das ist ja die Essenz von allem.“ Und Leben zu retten ist nun ihre Aufgabe. Dabei ist sie keine ausgebildete Ärztin. Als Sportlehrerin in Berlin hatte sie zumindest Erfahrung in der Ersten Hilfe.

Die kurdische Bewegung Es ist eigentlich nicht ganz richtig von der „kurdischen Bewegung“ zu sprechen, denn es gibt verschiedenste kurdische politische Strömungen. Große Teile der deutschen Linken solidarisieren sich dabei mit einer sozialistischen Bewegung, die sich auf die Ideen ihres Gründers Abdullah Öcalan bezieht. Sie pflegt dabei sowohl Kontakte zu kurdischen Vereinen in Deutschland als auch in die kurdischen Gebiete im Mittleren Osten. Vor dem Hintergrund des Syrienkonflikts gelang es Kampfeinheiten der Partei der Demokratischen Union (PYD) ein quasi autonomes Gebiet zu schaffen (siehe Grafik). Dort streben sie die Umsetzung der kurdisch-sozialistischen Ideen an.

Die deutsche Sicht Die Haltung des deutschen Staates zur kurdischen Befreiungsbewegung ist nicht ganz eindeutig. Während die militante Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die vor allem in der Türkei operiert, in Deutschland seit 1993 verboten ist, wird deren Schwesterorganisation PYD (mit den YPG/YPJ als bewaffneten Arm), die in Nordsyrien aktiv ist, nicht als Terrororganisation eingestuft.

Sympathisanten In Deutschland wird die Führungsriege der PKK, die in Deutschland 14.500 Anhänger hat, juristisch verfolgt, meist unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Zuletzt wurde 2019 der kurdische Mezopotamien Verlag wegen seiner Nähe zur PKK verboten. (fbg)

Im Telefongespräch hält sich Jiyan eher zurück, wenn es um ihre Berliner Vergangenheit geht. „Die deutsche Linke hat mir nie eine Lebensperspektive gegeben. Sie stand nur für etwas, wogegen gekämpft wird.“ Jiyan fehlte die Vision, die Idee für eine Alternative, an der auch tatsächlich gearbeitet wird. Deswegen stellt sie am Telefon eine Gegenfrage: „Wie stellst du dir denn Deutschland in Zukunft vor? Was ist deine Idee?“

Kurze Stille … Dann sagt sie: „Na siehste, das ist wichtig, sich diese Frage mal zu stellen.“ Ihr Weg sei das Einstehen für gemeinsame Werte gewesen und der Wille, die auch umzusetzen – und da wurde sie bei der kurdischen Bewegung und ihrer gesellschaftlichen Revolution in Rojava fündig.

Erste Kontakte entstanden in Berlin. 2014, in dem Jahr, in dem der IS das kurdische Kobani angriff, begann Jiyan, Freund*innen zu versammeln, um gemeinsam nach Rojava zu fahren. Jiyan war beeindruckt, mit welcher Hingabe hier die Menschen an einer Veränderung arbeiten. Sie lernte die Geschichten von Frauen kennen, die aus patriarchalen Familien ausbrachen, um sich der YPJ anzuschließen.

Trotz der Faszination kehrte Jiyan erst einmal nach Berlin zurück und trat dann später wieder den Weg nach Rojava an. Eigentlich sollten es nur drei Monate werden. Aber: „Es ist schon schwierig wegzugehen bei den ganzen Aufgaben hier.“ Und deswegen ist sie bis heute vor Ort. Ohne festen Wohnsitz. Seit vier Jahren ist sie da, wo sie gerade gebraucht wird. Sie erhält kein Gehalt, aber Verpflegung. Will sie sich etwas kaufen, dann mit Geld, das Bekannte aus Deutschland schicken.

Wenn sie nicht in der medizinischen Versorgung arbeitet, nimmt sie an Schulungen teil oder gibt selber welche. Bildung ist zentraler Teil der kurdischen Strukturen und wie vieles ein Paradigma Abdullah Öcalans, des Gründers und Anführers der kurdischen Befreiungsbewegung. Auf seinen Ideen für eine sozialistische Gesellschaft beruht letztlich auch das Projekt Rojava.

War die kurdische Bewegung zunächst eher orthodox marxistisch, wandelte sie sich in den 90ern: Feminismus und Ökologie wurden zu zentralen Themen. Diese Weiterentwicklung machte sie zum Bezugspunkt linker Bewegungen weltweit – auch in Berlin.

Was früher Kuba oder Nicaragua waren, ist heute Rojava

Jiyans Verbindung nach Berlin wird allerdings immer dünner, erzählt sie: „Die Telefonkontakte sind jetzt nicht so das Prallste.“

Was für Jiyan heute noch ansteht? Sie werde „ganz viel Tee trinken und die Stellung halten, falls jemand verletzt wird“. Einige Freunde sind gerade auf eine Beerdigung von zwei gefallenen GenossInnen aus einem anderen Ambulanzteam gefahren.

Bevor sie auflegt, will Jiyan sich bei den Soli-Aktionen in Deutschland bedanken. Sie meint die Demos, Besetzungen und Blockadeaktionen. „Ich weiß, dass die Leute oft das Gefühl haben, dass das nichts bewegt. Aber das gibt viel Kraft und ist emotional sehr wichtig.“

Der Dank geht an Menschen wie Lina*, Mark* und Marcel*. In einem Neuköllner Café erzählen sie über die Berliner Soli-Szene. Lina ist in der feministischen Kampagne WomenDefendRojava aktiv, Mark blockierte mit RiseUp4Rojava Rüstungsunternehmen, und Marcel organisiert mit Studis4Rojava eine Kampagne zum akademischen Boykott. Alle drei wollen nicht ihren richtigen Namen nennen. Dazu tragen auch die jüngsten Prozesse gegen Aktivist*innen wegen Unterstützung der PKK bei. Wer sich in Deutschland für Kurdistan engagiert, muss sich vor der Justiz und vor türkisch-nationalistischen Organisationen hüten.

Lina, Mark und Marcel machen es trotzdem. Die drei spiegeln mit ihren Schwerpunktthemen auch eines wider: Fast alle Flügel der linken Szene können sich mit Rojava identifizieren. Selbst die ewige Spaltung zwischen Antideutschen und Antiimperialist*innen scheint hier keine Bresche in die Bewegung zu schlagen. Dazu findet sich auf den Demos ein im Alter gemischteres Publikum als bei vielen anderen Szeneveranstaltungen. Die aktivistischen Gruppen werden ergänzt durch Initiativen wie Cadus, die Hilfslieferungen ins Kriegsgebiet organisieren.

Mag der harte Kern der Soli-Gruppen überschaubar sein, besitzt er dennoch Mobilisierungskraft. Nach dem türkischen Angriff auf Rojava kamen im Oktober 4.000 Menschen zur Soli-Kundgebung.

In einem versteckt gehaltenen Haus werden verwundete Kämpfer*Innen der YPG/YPJ gepflegt, die nach ihrer medizinischen Versorgung weiterhin Hilfe brauchen Foto: Mark Mühlhaus

Es geht den Inter­na­tio­na­lis­t*innen um die Verbindung von lokaler Organisierung und globalen Zusammenhängen. Das führt zu Sätzen wie: „In Rojava wird unsere Revolution angegriffen“ – Lina meint vor allem die feministische. Sie mag das kurdische Verständnis, dass der Feminismus einen gesamtgesellschaftlichen Vertretungsanspruch habe. Dazu gehört auch die Jineologie, eine Frauen­wissenschaft, in der das alternative Wissen gesammelt wird, das sich historisch nicht gegen patriarchales Wissen durchsetzen konnte. Dies ist die Grundlage für eine Wissenschaft, die nicht nur zur Frauenbefreiung, sondern letztlich auch zu einer neuen Gesellschaftsordnung führen soll. In Rojava sind so eigene Akademien entstanden.

Im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich oder bei den Selbstverteidigungskräften – stets gibt es in den kurdischen Strukturen zu einer gemischten auch immer eine Frauengruppe. Mit Jinwar entstand sogar ein Frauendorf, wo keine Männer leben. Die Neugier wurde so groß, dass sich Lina einer Delegation anschloss, um Rojava kennenzulernen. „Das hat viel angestoßen“, sagt sie. „Wie führen wir eigentlich unsere Beziehungen miteinander und wie können wir im Alltag teilen?“, sind Fragen, die jetzt für Lina wichtiger sind.

Sie erzählt eine Anekdote aus Jinwar über die gemeinschaftliche Organisierung: Einige Kinder wollten Spielzeug, worauf die Erwachsenen sagten: „Dann müsst ihr euch organisieren!“ Die Kinder gründeten eine Gruppe, sammelten an den Türen Geld von den Erwachsenen ein und kauften sich Spielzeug.

Die kurdische Revolution hat den Anspruch, die Revolution vom Nahen Osten in die Welt zu tragen. So sollen sich die Menschen in lokalen Räten organisieren, die global vernetzt sind. „Ein erster Schritt ist, sich zu fragen, wie es den Frauen in der Nachbarschaft geht“, meint Lina.

Sie räumt mit dem Klischee auf, die Linke romantisiere Rojava lediglich. Natürlich seien auch in Rojava patriarchale und dogmatische Strukturen eine Herausforderung. Es gehe ja auch nicht um den Status Quo, sondern um den Weg, der eingeschlagen wird. Natürlich bestehe im Fall Rojava auch die Gefahr, dass sich das Projekt anders entwickelt, als erhofft – so wie die sandinistische Revolution oder Kuba.

Auch im Krieg werden weiter Grundschulen gebaut

„Es gibt aber auch die andere Seite“, sagt Lina. „Rumhacken auf Fehlern oder billige Kritik an der Bewaffnung der kurdischen Bewegung.“ Es sei „naiv zu denken, man könnte sich in diesem Gebiet durchsetzen, ohne zur Waffe zu greifen“. Es gehe dabei immer um die Erhaltung der Strukturen, deswegen würden auch im Krieg weiter Grundschulen gebaut.

Lina und die Kampagne WomenDefendRojava wollen in Berlin ihren Teil beitragen. Sie verlesen die Biographien von gefallenen Frauen, organisieren Blockaden oder einen Stand auf einem Weihnachtsmarkt. Sie versuchen, Gruppen zu erreichen, die oft keinen Platz in der deutschen Linken finden.

Doch auch klassische linke Gruppen haben das Thema Rojava aufgegriffen. Marcel* ist Teil der Studierendenbewegung. Neben seinem Kaffee liegt sein Laptop mit Rojava-Stickern. Er ist Teil der Gruppe, die das Sowi-Institut der Humboldt-Universität Ende Oktober besetzt hatte und von der Uni-Leitung noch am selben Tag geräumt wurde.

Seither hat sich viel bewegt in der aktiven Berliner Studierendenschaft. Sie starteten eine Kampagne für einen akademischen Boykott regimetreuer türkischer Unis und eine Anerkennung kurdischer Bildungsakademien. Dabei bemühen sich die Gruppen, die Theorie in die Praxis umzusetzen. „Wir fordern auch nicht die Anerkennung von Rojava als Staat bei der UN, sondern die internationale Vernetzung von Bildungsinstitutionen“, erklärt Marcel in Abgrenzung zu einem nationalstaatsorientierten Modell.

Anfang November, Berlin: Demo von KurdInnen gegen den Einmarsch der türkischen Armee in Syrien Foto: Christoph Soeder/dpa

Die Bewegung stehe in ständiger Auseinandersetzung mit deutschen Institutionen, die zu Handlangern der türkischen Regierung werden. Als Beispiel nennt Marcel die Frankfurter Goethe-Uni, die auf Gesuch der türkischen Botschaft vom ASTA eine Namensliste ihrer Mitglieder*innen forderte.

Derweil versuchen sich die Soli-Szene und die kurdischen Vereine in Berlin zu unterstützen. Kontakte bestehen darüber hinaus auch zum Verband der Studierenden aus Kurdistan. Trotzdem arbeiten sie aber in vielen Bereichen getrennt. „Kurdische Vereine stellen uns gelegentlich ihre Räume zur Verfügung“, erzählt Marcel. Die Solidarität sei auch hier spürbar.

*Namen geändert