Heterogen, beliebig und inflationär

Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch: Die Studie des Architekturtheoretikers Philipp Oswalt zur Marke Bauhaus

Philipp Oswalts Buch ist eine sensationelle Fundgrube von Bildern zum Bauhaus. Hier: Oskar Schlemmer, Bauhausstempel von 1921. © Sammlung Marzona Foto: Gerd Fleischmann

Von Ronald Berg

Der Bucheinband zeigt in einer Art Blaupause eine Kakofonie von Bauhaus-Logos: Kreuz und quer, von oben nach unten, beschwingt, in Schreibschrift, gepixelt oder die Buchstaben im Kreis angeordnet – alles ist möglich, alles scheint erlaubt bei der Visualisierung des Wortes „Bauhaus“. So zeigt schon der erste Blick auf Philipp Oswalts Buch „Marke Bauhaus 1919–2019“, wie heterogen, beliebig und inflationär der Name Bauhaus seit 100 Jahren als Marke benutzt wird.

Oswalts Buch kommt am Ende des großen Bauhaus-Jubiläumsjahrs 2019. Man kann es aber nicht nur deshalb als Resümee auf dieses Jubiläum lesen. Denn 100 Jahre nach Geburt der Schule und 86 Jahre nach ihrem historischen Ende ist das Bauhaus als Marke immer noch so präsent wie uneindeutig.

Oswalt – Architekt, Ex-Redakteur der Zeitschrift Arch+ und inzwischen Professor für Architekturtheorie in Kassel – war von 2009 bis 2014 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. Von dort hat er Insider-Wissen, wie de facto mit dem Bauhaus als Marke umgegangen wird.

Die Marke als Marketinginstrument verspricht Identität und suggeriert Inhalte. Die Marke erzeugt ein Image – keine Wahrheit. Eine Marke ist affirmativ, schließlich soll sie werben. Und deshalb zielt der Rekurs auf den Begriff der Marke bei der Wahrnehmung des Bauhauses ins Schwarze – auch und gerade wenn es um die Beurteilung der großen Staatsaktion zum Bauhaus-Jubiläum 2019 geht.

100 Jahre nach Geburt der Schule und 86 nach ihrem Ende ist das Bauhaus als Marke immer noch so präsent wie uneindeutig

„Dieses Buch tritt gegen eine seit Jahrzehnten zumeist unkritische und idealisierende Bauhaus-Geschichtsschreibung an“, lautet der erste Satz in Oswalts Buch. Und der Autor setzt mit seiner Kritik am Bauhaus gleich bei dessen Gründer Walter Gropius an. Denn seine Schule hat eigentlich mehr Reklame für sich selbst und ihren Direktor gemacht, als sie wirkliche Leistungen vorzuweisen hatte. Aber nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges zog das Image der Schule junge Leute an, auf die die Idee einer neuen Art der Ausbildung und Kreativität magische Wirkung zeitigte. Dabei sprach das Reklameinstrument des „Bauhaus-Manifests“ von 1919 seltsamerweise von einem „Zurück zum Handwerk“. Freilich hatte damals noch Johannes Itten mit seinen esoterisch-spiritistischen Vorstellungen als Didaktiker und Guru den größten Einfluss am Bauhaus. 1923 wurde er von Gropius „gegangen“.

Im gleichen Jahr erfolgte ein Relaunch der Marke Bauhaus mit einer programmatischen 180-Grad-Wende: „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ lautete nun das von Gropius ausgegebene Motto. Das Bauhaus musste sich nun als Schule vor allem vor seinem Finanzier, dem thüringischen Staat, beweisen. Vorzeigbare Inhalte und Erfolge waren nötig – auch wenn eigentlich wenig Vorzeigbares vorhanden war. Gropius ließ alle Kräfte der Schule auf die erste „Bauhaus-Ausstellung“ konzentrieren. Zum Markenselbstverständnis der Schule kommt hier ein „Produktions‑ und Wirtschaftsbetrieb“, schreibt Oswalt.

Nur war das Bauhaus unter Gropius kommerziell nicht sehr erfolgreich, was die angestrebte Zusammenarbeit mit der Industrie anging. Für das Image des Bauhauses als Marke sollte das aber keine Rolle spielen. Bis heute steht das Bauhaus mit seinen paar ikonischen Produkten für einen geschmackvoll-modernen Lebensstil, der Funktionalität immerzu behauptet, sie aber nicht unbedingt einlösen kann. Das Bauhaus liefert mit seinem Bauhaus-Stil vor allem Distink­tions­gewinn bei Leuten, die ihn sich leisten können. Oswalt erläutert das am Beispiel der Wagenfeld-Leuchte. Die vom damaligen Bauhaus-Studenten Wilhelm Wagenfeld in ihre endgültige Form gebrachte Leuchte ist im Grunde eine formale Adaptation aus dem 19. Jahrhundert. Mit ihren geometrischen Formen passt sie aber gut in jedes bürgerliche Interieur, ob modern oder mit Stilmöbeln. Vor allem aber ist sie Ausweis einer modernistischen Gesinnung, eine Art modernes Totem.

Mit solchen Produkten ist das Bauhaus spätestens seit 1923 eine Werbeveranstaltung in eigener Sache und steht für Modernität schlechthin. Für die Corporate Identity der Marke wird schon 1921 eine einheitliche Produktkennzeichnung angegangen. Der Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer entwirft dafür ein Signet – ein stilisierter Kopf. Es wird heute noch benutzt, und zwar vom Berliner Bauhaus-Archiv, das sich als Gralshüter eines authentischen Bauhauses versteht und gegen Lizenzgebühr das „original bauhaus modell“ vergibt, mit dem verschiedene Firmen Möbel oder Lampen vermarkten. Das Bauhaus-Archiv muss also an einem verkaufsträchtigen Image des Bauhauses interessiert sein, an dem es mitverdient.

Videobotschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum abgerufen am 7. 9. 2019 Foto: aus dem besprochenen Band

Ähnlich verhält es sich bei den anderen Bauhaus-Museen in Dessau und Weimar. Sie dienen hauptsächlich der „Touristifizierung“ der Marke Bauhaus, wie Oswalt das nennt. Das Bauhaus dient als Reklame-Argument im Stadtmarketing. Dazu darf die Marke Bauhaus natürlich nicht negativ dargestellt werden.

Damit ist nun das eigentliche Problem im Umgang mit dem Bauhaus benannt. Es werden staatlicherseits Institute alimentiert und Jubiläen veranstaltet, die in der Hauptsache ein Marketing-Interesse bedienen. Das Bauhaus-Jubiläum hat nur ein Markenimage poliert, mit dem Deutschland im In- und Ausland sozusagen als „traditionell modern’ „orgeführt wurde. So etwas kann nur funktionieren, wenn das Bauhaus als eine Art Weltmarktführer der Modernität dargestellt wird.

Deshalb ist Oswalt Buch so wichtig, weil es eben zeigt, wie hohl und beliebig das Bauhaus in solcher Markenverkleidung auftritt und wie wenig es dem historischen Bauhaus zu tun haben muss, das selbst schon als Marke auftrat.

Philipp Oswalt: „Marke Bauhaus. Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch“. Verlag Scheidegger & Spiess 2019, 336 S., 827 farbige und 127 sw Abbildungen, 38 Euro