: Thank you for traveling
Die einzige gute Nachricht vom Klimagipfel: Greta Thunberg hat die Rückfahrt mit der Deutschen Bahn heil überstanden
Liebe Greta Thunberg, du hast es ja mitbekommen. Nach deinem Twitter-Foto aus einem ICE der Deutschen Bahn geht hier die Post ab. Du kauerst da auf dem Boden aus grauem Teppichfilz. Und geschrieben hast du: „Reisen in überfüllten Zügen durch Deutschland. Und ich bin endlich auf dem Heimweg!“
Dieses Bild bewegt die deutsche Öffentlichkeit über alle Maßen. Nicht weil du auf der Rückreise vom mit enttäuschenden Ergebnissen beendeten Madrider Klimagipfel bist, sondern weil du exakt dasselbe erlebst wie viele andere Bahn-KundInnen: irgendwo zwischen Zugklo und Zugluft dem Reiseziel entgegenzudämmern. Es riecht komisch und der Filzboden hat so harte Gnubbel, stimmt’s? Gut, dass du die Jogginghose dabeihattest. In Deutschland nennt man das „Reisen in vollen Zügen genießen“.
Die Deutschen Bahn AG hat gleich in schönstem Du!-Du!-Du!-Sprech getwittert, sie habe sich „gefreut, dass Du am Samstag mit uns im ICE 74 unterwegs warst“. Aber „noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist.“ Du hast das umgehend aufgeklärt: dass du erst ab Göttingen einen Platz hattest und dass überfüllte Züge auch ein Zeichen für mehr Bahnverkehr seien. Dafür die ganze Aufregung?
Du musst wissen, dass die Deutschen zu ihrer Bahn ein persönliches Verhältnis pflegen. Die Menschen beweinen jede Verspätung, jede veränderte Wagenreihung und jeden kaputten Kaffeeautomaten im Bordbistro. Das hieß früher Speisewagen, aber seit die Deutsche Bahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, bemüht sich die Konzernführung um so viel Wortakrobatik wie möglich. Das wirkt weltläufiger.
Die deutschen Reisenden geben zwar nicht gern zu, dass ihr Englisch nicht das allerbeste ist (the German Bildungssystem is Ländersache). Sie kriegen sich vor Lachen aber fast nicht mehr ein, wenn der Zugchef sie via Bordlautsprecher in genuscheltem Englisch zutexten muss, auf welcher platform ihr verspäteter Zug hält und welche connecting trains sie heute wieder verpassen.
Interessant finde ich übrigens, dass dir niemand einen Platz angeboten hat. Ich meine, Greta Thunberg steigt in den ICE, um nach monatelanger Weltreise heimzureisen? Ich hätte dir vielleicht meinen Platz angeboten. Vielleicht. Aber tatsächlich hätte ich dich kurz gemustert, wie du mit deinen Koffern und Taschen durch die Gänge treckst. Ich hätte aus sicherer Entfernung ein Handyfoto von dir gemacht und ansonsten sehr beschäftigt getan.
Da verstehen wir keinen Spaß. Bei uns gibt es die heilige Sitzplatzreservierung. Und wer nicht schnell genug war, wer seine Reisepläne ändert oder unbedingt nach Schweden will, die muss halt sehen, wo sie bleibt. Greta hin oder her – meine vierfuffzich Verlust erstattet mir ja keiner. Du, die vom Time Magazine gerade zur Person des Jahres 2019 gekürt wurdest, kriegst nicht meinen Sitzplatz. Come clear. Gute Reise und bis bald mal wieder hier in Berlin, wo dir die PolitikerInnen womöglich einen Sitzplatz anbieten werden. Bis dahin! Anja Maier
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