Antidiskriminierungsgesetz für Berlin: Behörden im Spotlight

Berlin will als erstes Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz einführen, das Klagen gegen Behörden ermöglicht.

Die Idylle trügt: People of Color klagen über anlasslose Polizeikontrollen im Görlitzer Park Foto: Fabian Zapatka/laif

Was für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft kaum vorstellbar klingt, ist für viele ganz ­normal: Wer männlich und jung ist und zudem eine dunkle Hautfarbe hat, wird besonders häufig von der Polizei kontrolliert, wer einen „fremdländischen“ Namen trägt, muss damit rechnen, auf Ämtern schikaniert oder schlechter behandelt zu werden.

Kurz: Dass Menschen aufgrund bestimmter Merkmale anders – in der Regel: schlechter – behandelt werden als andere, ist Alltag in Berliner Behörden. Betroffenen­organisationen wie der Migra­tionsrat, Reachout und das Antidiskriminierungsnetzwerks (ADNB) des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg fordern daher schon lange, dass die Politik aktiv werden muss. Zumal diese Realität dem Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes widerspricht.

Auch Rot-Rot-Grün hat sich ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz (kurz: LADG) im Koalitionsvertrag vorgenommen, zum Jahresende sollte es eigentlich kommen. „Aber leider gibt es weiterhin Gesprächsbedarf bei den Koalitionspartnern“, sagte der grüne Abgeordnete Sebastian Walter am Dienstag der taz. Unter anderem gehe es um die Befürchtung, dass die Polizei mit Klagen überzogen wird – dazu unten mehr.

Im Kern ist das LADG eine Erweiterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das 2006 als Bundesgesetz eingeführt wurde: Dieses verbietet Diskriminierung im privat- und arbeitsrechtlichen Bereich, das LADG weitet das auf staatliches Handeln aus.

Damit ist Berlin bundesweit Vorreiter, diesbezügliche EU-Richtlinien harren in Deutschland seit Jahren der Umsetzung. Verboten wird Behörden, aber auch staatlichen Schulen und Kitas, eine Diskriminierung nach Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Identität, die auch schon das AGG abdeckt. Darüber hinaus nennt der im Sommer vorgestellte Entwurf von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) weitere Merkmale: auch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, einer chronischen Krankheit oder des „sozialen Status“ (also Einkommen, Bildungsabschluss, Beruf) darf man nicht diskriminiert werden.

Neu ist ein Verbandsklagerecht

Wie beim AGG haben Betroffene Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung. Neu ist hingegen die Möglichkeit zum Verbandsklagerecht sowie eine Ombudsstelle, an die sich Betroffene wenden können, um eine Einigung zu erzielen.

Die Verbände, in deren Beratungsstellen quasi täglich Betroffene vorsprechen, sind voll des Lobes. Mit dem Gesetz könnten sich Menschen „erstmals effektiv gegen rassistische und andere diskriminierende Vorfälle in Ämtern, Behörden und so weiter zur Wehr setzen“, erklärte Céline Barry vom Vorstand des Migrationsrats bei einer Pressekonferenz am Dienstag, dem Internationalen Tag der Menschenrechte.

Das Datum hatten die Organisationen bewusst gewählt, um eine Lanze für das LADG zu brechen. „Es geht ja genau darum: um die praktische Wahrnehmung von Menschenrechten“, sagte Lino Agbalaka vom Migrationsrat. Das sei nicht nur im Interesse von Minderheiten: Die ganze Gesellschaft profitiere davon, wenn jeder sicher sein könne, gleich behandelt zu werden.

Dennoch stand das Gesetz in den letzten Monaten von verschiedenen Seiten unter Beschuss. Die SPD-geführte Bildungsverwaltung befürchtete laut Medienberichten negative Folgen für das Neutralitätsgesetz, das Lehrkräften das sichtbare Tragen religiöser Symbole verbietet. Die CDU wiederum beschwor die Gefahr eines „Bürokratie- und Rechtsverfolgungsmonsters“. Und die Polizeigewerkschaft warnte, der Verwaltungsaufwand aufgrund der zu erwartenden Klagewelle werde zu viele Kräfte binden, zudem mache die „Beweislastumkehr“ polizeiliche Arbeit quasi unmöglich.

Wie beweist man Diskriminierung?

Diesen „Fehlinformationen und verkürzten Darstellungen“ traten der Migrationsrat und andere Organisationen am Dienstag entschieden entgegen. Zum Neutralitätsgesetz sagte Kerstin Kühn vom ADNB, das LADG besage explizit, dass dies nicht vom neuen Gesetz betroffen sei, was sie durchaus bedauere: „Das Neutralitätsgesetz sollte abgeschafft werden.“

Es gebe im LADG auch keine Beweislastumkehr, sondern lediglich – wie schon im AGG – eine „Beweiserleichterung“, erklärte Eva Maria Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland. „Und die ist auch wichtig, sonst ist der Nachweis einer Diskriminierung quasi unmöglich.“ Beweiserleichterung bedeute, dass man als Kläger „Indizien glaubhaft machen muss, die eine Diskriminierung wahrscheinlich machen“.

Was das konkret verändern könnte, machte Agbalaka anhand einer Situation deutlich, die er selbst als Person of Colour wiederholt erlebt hat: im Görlitzer Park. Wie Hunderte andere habe er dort schon oft gesessen, aber wenn die Polizei kam, habe sie ihn als Einzigen kontrolliert. „Bislang war ich allein mit meiner Wut“, so Agbalaka, jetzt könnte er zur Ombudsstelle gehen – oder notfalls dagegen klagen.

Die Polizei müsse dann vor Gericht konkret darlegen, wieso sie gerade ihn kontrolliert habe. „Es ist keine Schikane, sondern eine Selbstverständlichkeit, dass die Polizei transparent macht und dokumentiert, was sie tut“, ergänzte Andrades. Auch die Befürchtung, es werde zu einer „Klagewelle“ kommen, halten die Organisationen für unbegründet. Beim AGG hätten Kritiker das auch orakelt, es sei aber nicht so gekommen, sagte Kühn, weil der Nachweis von Diskriminierung weiterhin schwierig sei. Zudem hätten die Verbände zu geringe Mittel, um viele Klagen zu betreiben.

Dabei wäre eine Klagewelle gar nicht schlecht, sagte Biplab Basu von Reachout. Sie bedeute, „dass die Menschen ihr Schicksal in die Hand nehmen. Das ist doch gut für die Demokratie!“

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