: Von Ufer zu Ufer
Wachsjacken werden auch an der Weser getragen, Land Rover gibt es sogar im Teutoburger Wald. Und doch bildet sich niemand so viel ein auf die eigene Verwandtschaft zum Englischen an sich, wie es die Hamburger*innen tun – warum noch mal genau?
Von Alexander Diehl
Manchmal kommt es von ziemlich weit oben: „Ganz besonders hier in Hamburg ist die deutsch-britische Verbundenheit zu spüren“, so hatte es im Februar 2016 Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrem Zettel stehen. Genauer: in einer Rede, die es, eben, im Hamburger Rathaus zu halten galt, beim Matthiae-Mahl, einer echten Traditionsveranstaltung unter den Hanseat*innen da an der Elbe. Überhaupt, die Hanse: Die „engen Beziehungen“, so Merkel weiter, „dürften auch der Grund dafür sein, weshalb sich klassische hanseatische Tugenden kaum von dem unterscheiden, was wir in Deutschland als typische britische Eigenschaften wahrnehmen“.
Sicher: Wo die einen ein ganzes Weltreich auspressen konnten, waren die anderen qua küstennahem Hafen immerhin noch Dreh- und Angelpunkt für koloniale Warenströme … Moment – Merkel dachte dann natürlich doch an etwas anderes: „Weltoffenheit, Pragmatismus, Aufrichtigkeit und Fairness“ zählte sie auf, und das wird an jenem festlichen Abend im Februar dem Gastgeber gefallen haben, Hamburgs sozialdemokratischem Damals-Noch-Bürgermeister Olaf Scholz – und mindestens so sehr wohl dem anderen Stargast an diesem Abend: David Cameron, konservativer Bald-darauf-nicht-mehr Premierminister des Vereinigten Königreiches. Im Februar 2016 stand das britische EU-Referendum, an das Cameron sein politisches Schicksal geknüpft hatte, noch bevor. Und dass es zum Brexit kommen würde, galt längst nicht als ausgemacht.
Inzwischen sieht die Sache bekanntlich anders aus. Und je konkreter sich abzeichnet, dass (und wann genau) die Bande zwischen Brüssel und Britannien zerschnitten werden dürften, desto wichtiger könnten sie ja wieder werden, diese ach so besonderen Beziehungen von der Elbe an die Themse, ganz geschäftsmäßig-kühl, ohne irgendwelchen Euro-Furor. „Old School und ‚very british‘ ist schon der Titel ‚Hanse‘“: Darauf hatte beim ehrwürdigen Diner im Februar Olaf Scholz hingewiesen, denn der bis heute bemühte Begriff tauche zuerst auf in jenen Urkunden, die es im 13. Jahrhundert Hamburger Kaufleuten erlaubten, in London Handel zu treiben.
So eine Station im Lebenslauf wiederum, also: irgendwohin zu gehen, sein geschäftliches Glück zu machen, heimzukehren und die wohlverdienten Früchte zu genießen – in gebotener Diskretion, zum Beispiel hinter Hecken und Mauern und parkähnlichen Gärten nach, nun ja, englischem Vorbild: Das ist lange Zeit eine Blaupause gewesen fürs Hamburger Selbstverständnis – zumindest innerhalb einer bestimmten Schicht; weil Hamburg neben einem Anglophilie-Hotspot auch mal eine bedeutende Stadt der Arbeiterbewegung war, dürfen Sie auch Klasse dazu sagen.
Denn so sehr sich, sagen wir: örtliche Fußballfans beim britischen Proletarierchic bedienen, bei Skinheads und Mods und ihren Kleiderschränken, so sehr kokettieren all die Geländewagen fahrenden, in Wachsjacken und Kamelhaarmäntel sich hüllenden, Golf (oder doch gleich Polo?) spielenden und ihre Rassehunde über picobello gepflegtes Grün ausführenden Hamburger*innen doch erkennbar mit der Zugehörigkeit zum Gehobenen: Dass Tennis in Deutschland eine Art Breitensport werden konnte, war ja eher ein Witz des Weltgeists, damals in Gestalt von Boris Becker und Steffi Graf; was werden sie geschimpft haben in den eben noch so dolle Distinktion stiftenden Clubs an der Alster, in Flottbek und den Walddörfern.
Wenn auch nicht immer gleich mit Duzfreunden der jeweiligen Royals, so identifiziert sich der hansestädtische Betongeldinvestor – das Zinshaus als Lebensform – doch erkennbar mit jener Fraktion des angelsächsischen Landadels, die der heute so viel bemühten Gentrifidingens den Namen gab. Man kann darin eine gewisse Ironie erkennen; ein Hamburger, gleichwohl nie recht zum Hanseaten geadelter wie Heinrich Heine hätte daraus sicher etwas zu machen verstanden.
Im Gegenzug zu den Hanse-Händlern in London kamen die dortigen seit dem Mittelalter nach Deutschland und da eben gerne auch nach Hamburg, das ist der harte Kern all des Schwärmens: Man kannte einander, begegnete sich, und das früher als es anderswo geschah. Ab 1689 gab es in Hamburg einen britischen Diplomaten, und die Stadt war der bedeutendste Stapelplatz für britische Waren. Dass die von Merkel genannten Qualitäten – zur Erinnerung: „Weltoffenheit, Pragmatismus, Aufrichtigkeit und Fairness“ – insofern ganz schnöder Schmierstoff sein dürften, berechnet eingesetzt zur Maximierung des Geschäfts: Das muss man nicht als Makel empfinden; es gibt, gerade hierzulande, weißgott schlimmere, weniger rationale Kategorien für den Umgang miteinander. Nicht-lutheranische Gottesdienste abhalten durfte in Hamburg zuerst die wenigstens ja auch irgendwie reformierte Anglican Communion, und das schon ab 1611 – das ist 200 Jahre vor den Katholik*innen; und schweigen wir davon, wie die angeblich so rationalen Elbanrainer*innen die dortigen Jüd*innen behandelten. Ans Bürgerrecht jedenfalls gelangten die Briten auch schneller als etwa die Mitglieder der Familie Heine.
Liegt an Alster und Elbe nun also die „allerenglischste Stadt des Kontinents“, wie es der Historiker Helmut Böhme in den 1960er-Jahren formuliert hat? Oder gibt es dort einfach nur ein paar mehr von denen, die ein längst zum Klischee geronnenenes Britentum annehmen, das dort, auf der Mutterinsel vielleicht gar nicht verstanden würde? Sind Burberry-Schal und Pims-Cocktail am Ende für manche einfach bloß, was für andere „Dinner for One ist“?
Wer der bis heute in Hamburg ausgestellten Englandliebe begegnet, den mag zweierlei verwundern: Zum einen wird in mancher Quelle aus dem ganz frühen 19. Jahrhundert etwa beklagt, ganz Deutschland sei von einer lächerlichen „Anglomanie“ befallen. Und dann gab es, wieder zurück in Hamburg, lange Zeit noch eine Art schwächliches Zwillingsgeschwisterchen im dortigen Gemüt: 1849 attestierte etwa Joseph Meyer in seinem „Großen Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände“ den höheren Ständen „eine gewisse Ausländerei, besonders eine blinde Vorliebe für Frankreich und vor allem England und Alles (sic!) was englisch ist“. Frankreich aber und England, das waren doch lange einander ausschließende Vorbilder, sollte man meinen. Und gegen Napoleon, der Hamburg einerseits besetzt hatte, andererseits ja nicht zuletzt eine französische Idee von Modernisierung, ja: Zivilisation hinterlassen, gegen diesen Napoleon also entsandten 1813 auch Hamburg, Bremen und Lübeck eine gemeinsame „Hanseatische Legion“.
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