: Die Machtprobe: Streiks gegen Rentenreform
Keine Züge, keine Flüge, keine Müllabfuhr, Probleme in den Krankenhäusern: Seit Wochen wird die Bevölkerung vor drohendem Unheil an diesem Donnerstag, dem 5. Dezember gewarnt und gebeten, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Der Grund sind die gewerkschaftlichen Proteste gegen die geplante französische Rentenreform. Der als „unbefristet verlängerbar“ angesagte Streik bei der staatlichen Bahn, der Pariser Metro und anderen kommunalen Transportmitteln wird allein schon den öffentlichen Verkehr fast ganz lahmlegen. Seit mehr als einer Woche verkauft die Eisenbahngesellschaft SNCF für die Zeit vom 5. bis 9. Dezember keine Tickets mehr. Auch im Flugverkehr wird mit Ausfällen gerechnet. Die Bevölkerung wird darum dringend ersucht, sich rechtzeitig nach alternativen Transportmitteln umzuschauen und sich untereinander zu organisieren, um trotz Streiks zur Arbeit zu gelangen.
Im Ausstand befinden sich auch die LehrerInnen, das öffentliche oder private Personal der Energieversorgung, der Müllabfuhr, der Automobilindustrie, der Justiz und des Gesundheitswesens. Auch die freiberuflich tätigen Anwälte und Ärzte haben Streiks angekündigt. Separat wollen Polizisten gegen Reformpläne protestieren. Bereits seit Tagen sind zudem Erdölraffinerien und Treibstofflager von Protestierenden aus der Bauindustrie blockiert, was im Westen des Landes zu ersten Versorgungsengpässen führt.
Offiziell handelt es sich nicht um einen Generalstreik, aber es sieht insgesamt doch sehr danach aus, zumal auch die gegen ihre Stipendienmisere protestierenden Studierenden sowie Aktivisten der Umwelt- und Klimabewegung sich den Demonstrationen anschließen könnten. Gewiss werden auch die Gelbwesten die Reihen verstärken.
Die Details der Rentenreform sind noch immer nicht bekannt, wohl aber das Prinzip: Das bisherige Rentensystem mit all seinen Sonderregelungen soll durch ein vereinheitlichtes Punktesystem ersetzt werden. Damit ist klar, dass die mehr als 40 Sonderkassen etwa der Eisenbahner, Polizisten, Bergarbeiter, Notargehilfen, Anwälte und der TänzerInnen der Oper in das Hauptsystem, das Régime général der Sécurité sociale, integriert werden.
Das hätte für die allerwenigsten der Betroffenen eine Verbesserung zur Folge. Die Regierung versucht deshalb, diese Kraftprobe zu gewinnen, indem sie die Streikenden in der öffentlichen Meinung als Privilegierte darstellt, die sich aus egoistischen Sonderinteressen gegen gleiche Rechte zum Allgemeinwohl wehrten.
Bittere Folgen für Betroffene
Das stimmt nur teilweise. Das geplante Punktesystem zur Berechnung den Rentenhöhe bedeutet, dass viele Betroffene aufgrund von Beitragslücken mit weniger Geld im Alter oder zusätzlichen Arbeitsjahren rechnen müssen. Hinzu kommt, dass mehrere dieser Sonderkassen viel Geld auf die Seite gelegt haben. Für diese Reserven im Gesamtwert von mehreren Milliarden Euro interessiert sich die Staatskasse. Mit der Reform soll der Gesamtaufwand für die Renten längerfristig auf jährlich 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stabilisiert werden.
Die Regierung weiß, dass sie mit den dazu nötigen Maßnahmen an historische soziale Errungenschaften rührt, die in Frankreich als „heilige Kühe“ gelten. Präsident Macron hat indes versprochen, dieses aus der Nachkriegszeit stammende, undurchschaubar gewordene System zu „modernisieren“.
Premierminister Edouard Philippe ist sich bewusst, dass es bei der Rentenreform ums Ganze geht. Der Ausgang des Konflikts mit den Gewerkschaften hängt von deren Mobilisierungskraft ab: „Eine Woche Streiks, das geht, bei zwei wird es problematisch, und länger halten wir nicht durch“, sagte der Regierungschef zum Wochenbeginn, als wollte er die Arbeitnehmervertretungen noch zusätzlich provozieren. Rudolf Balmer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen