: Gruseliger Wiedergänger
Von der AfD bis zur linken Eckkneipe: Thomas Ebermann und Thorsten Mense besichtigen das Grauen des Heimatbooms
Von Robert Matthies
Los geht’s natürlich mit einem Heino-Video: irgendein die schöne Heimat beschwörender Quatsch. „Ich dachte, das stirbt aus“, sagt der Publizist, Dramaturg und Ex-Grünen-Politiker Thomas Ebermann. Warum er so zuversichtlich gewesen sei, fragt ihn der Soziologe und Journalist Thorsten Mense. „Wahrscheinlich litt ich an historischem Optimismus“, sagt Ebermann. „Eine gefährliche Krankheit“, warnt Mense. Und dann wird’s richtig gruselig: Thees Uhlmann singt.
Eine „Besichtigung des Grauens“ haben sich Ebermann und Mense mit ihrem Anti-Heimat-Edutainment vorgenommen. Und man kommt aus dem Schaudern wirklich nicht mehr heraus, wenn die beiden knapp zwei Stunden lang den Boom des Heimatbegriffs als „Grundrauschen der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung“ durchmessen. Vorbei geht die Geisterbahnfahrt an den üblichen Verdächtigen: AfD, Heimatministerium, Winfried Kretschmann beim Hobeln in der heimischen Werkstatt, Trachtenmode, Magazine wie Landlust, Heimatkoch Tim Mälzer, „Klimaschutz ist Heimat“ (Umweltministerium), „Naturschutz ist Heimatschutz (NPD), „Heimat braucht Klimaschutz“ (Greenpeace).
Aber wie diesem Spuk Einhalt gebieten, wie sich kritisch dazu verhalten? Warum ist der Heimatboom überhaupt ein Problem, fragen sich beide. Wie hängen Begriffe wie Nation, Heimat und Volksgemeinschaft zusammen? Ist die Heimat also per se antisemitisch und patriarchal? Wer und was gehört für deren Apologet*innen dazu, zur Heimat? Und wer und was eben nicht? Wussten Sie etwa, dass es einst „das Heimat“ hieß und zunächst nur Eigentum meinte, an Hof, Grund und Boden? Wer nichts hatte, konnte auch keine Heimat haben. Und ist Ebermann als Ex-Grüner nicht auch mitschuldig an dem ganzen Heimatboom? Und überhaupt: „Beschwerst du dich gerade, dass es in der Heimat keinen Platz für dich gibt?“ Darf man denn wenigstens noch seine linke Eckkneipe lieben?
Gar nicht so leicht, sich in diesem Fragenwust zurecht- und vor allem: herauszufinden. Denn richtig spooky wird’s ja erst, wenn man in den Blick nimmt, wie die Heimat auch in linken Diskursen immer heimischer wird. Selbst die am reinsten erscheinenden kritischen Bezugspunkte scheinen kontaminiert von der Sehnsucht nach harmonischer Reinheit. Lässt sich zumindest Ernst Bloch noch retten? Kurt Tucholsky? Ach je. Immerhin ein paar Sätze bleiben am Ende noch als Waffen zur Nestbeschmutzung: „Heimat ist da, wo man sich aufhängt“ (Franz Dobler) natürlich. Aber auch dieser vom Grabstein Herbert Marcuses: „Weitermachen!“
„Heimat – Eine Besichtigung des Grauens“: heute, 20 Uhr, Hamburg, Polittbüro; Fr, 3. 4. 20, Osnabrück, Lagerhalle; Sa, 4. 4. 20, Bremen, Heimatmuseum Schloss Schönebeck
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