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Mit einer Milliarde Euro macht man sich den Anfang leichter

Die rot-schwarz-grüne Koalition gönnt sich kurz vor der Schuldenbremse einen Kredit und will laut Koalitionsvertrag viel Geld in den ländlichen Raum stecken und dort für mehr Öko sorgen

Von Stefan Alberti

Ob er tatsächlich von poetischer Schönheit ist, wie Ministerpräsident Dietmar Woid­ke von der SPD behauptet, oder nicht doch eher sehr nüchtern, dürfte das kleinste Problem des Koalitionsvertrags von SPD, CDU und Grünen sein. Über vier Wochen haben die drei Parteien über das verhandelt, was nun in den kommenden fünf Jahren Leitlinie der Koalition sein soll. Das war kein Selbstläufer. „Manchmal schienen die Felsen so groß, dass wir dachten, wir schaffen es nicht“, war bei der Vertragsvorstellung etwa von CDU-Chefverhandler Michael Stübgen zu hören, den Woidke am Mittwoch zum Innenminister ernannte. Kritiker nehmen als Beleg dafür so manche unkonkrete „Ist zu prüfen“-Stelle im Text – und dass die Koalition kurz vor Inkrafttreten der Schuldenbremse noch einen 1-Milliarde-Euro-Kredit aufnimmt, um all ihre Projekte stemmen zu können, statt sich über wenige streiten zu müssen. Der bisher von der Linkspartei gestellte Finanzminister war nach eigenen Worten „einigermaßen fassungslos“ darüber: Ausgerechnet CDU und Grüne, die so sehr auf die Schuldenbremse gepocht hätten, würden nun neue Schulden anhäufen.

Eine Milliarde zusätzlich also. „Nicht wie viel ausgegeben wird, sondern wofür, ist die entscheidende Frage“, kritisierte die Linkspartei weiter. Die Koalition will die neue Milliarde binnen zehn Jahren – gewählt sind die jetzigen Abgeordneten allerdings erst mal nur für fünf Jahre – in Regionalentwicklung, Klimaschutz, moderne Infrastruktur und Digitalisierung stecken, also im Grunde sämtliche aktuellen Großthemen abdecken.

Dass es keine neuen Tagebaue bei der Braunkohle geben wird und bestehende nicht erweitert werden sollen, hatte sich ziemlich schnell in den Koalitionsverhandlungen abgezeichnet – sonst hätten die Grünen auch gar nicht länger verhandeln können: Sie hatten nur ein einziges Thema als „rote Linie“ und nicht verhandelbar, und das war eben der Tagebau-Ausbaustopp. Bei ihrem jüngsten Parteitag in Bernau legten ihre führenden Politiker aber Wert darauf, herauszustellen, dass sie auch außerhalb klassischer grüner Umweltthemen gepunktet hätten, vor allem in der Sozialpolitik – wohl auch im eigenen Sinne: Das entsprechende Ministerium führt nun die bisherige Fraktionsvorsitzende Ursula Nonnemacher. So soll der Betreuungsschlüssel an den Kindertagesstätten weiter verbessert werden. Gleichzeitig plant die Koalition, ab 2022 für das vorletzte Kita-Jahr und 2024 die gesamte Kita-Zeit keine Beiträge mehr zu erheben. An den Schulen soll es 400 zusätzliche Fachkräfte geben.

Viel Raum nehmen die Pläne für bessere Bus- und Bahnanbindung jenseits der Städte ein: mehr Züge, mehr Sitzplätze darin und bessere Taktzeiten soll es geben. Als Ziel gilt ein Stundentakt tagsüber im Regionalverkehr an allen brandenburgischen Bahnhöfen. Für die S-Bahn strebt die Koalition einen 10-Minuten-Takt an – das sei aber „unser langfristiges Ziel“. Grundsätzlich soll der Anteil von Fuß- und Radverkehr sowie Bus und Bahn am Gesamtverkehr, jetzt bei 40 Prozent, auf 60 Prozent wachsen. Allerdings soll das bis 2030 passieren, also weit über das Ende der neuen Wahlperiode hinaus, die bis 2024 dauert. 20 Millionen Euro sollen in den Ausbau von Radwegen fließen.

Der bisherige Grünen-Fraktionschef Axel Vogel dürfte einen der härtesten Jobs in der Landesregierung haben: „Dass zukünftig ein Vertreter der Grünen dem Agrar- und Umweltministerium vorstehen soll, stand nicht auf dem Wunschzettel vieler Brandenburger Landwirte“, verkündete die Landesbauernschaft prompt in Reaktion auf den Koalitionsvertrag.

Hochproblematisch sei etwa die anvisierte Halbierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Unterm Strich aber summierte die Bauernlobby: „Dennoch sind wir dazu verdammt, gemeinsam vernünftige Lösungen für die Zukunft der Brandenburger Landwirtschaft zu erarbeiten.“ Das wiederum war ganz im Sinne von Vogel: Der rief die Bauern auf, keine Blockadehaltung nach dem Motto einzunehmen, die fünf Jahre mit den Grünen stehe man schon durch. Aus seiner Sicht muss man an einem Strang ziehen, um den Bodenaufkauf durch auswärtige Betriebe zu erschweren. Sonst träfen sich beim Landbauernverband „in 20 Jahren statt Brandenburger Bauern nur noch 40 Geschäftsführer landwirtschaftlicher Holdings“. Dem soll das vereinbarte Agrarstrukturgesetz entgegenwirken.

Eine klare Ansage machte Vogel durch die Besetzung des Staatssekretärspostens in seinem Ministerium: Den soll die bisherige Vorstandsvorsitzende der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau (FÖL) übernehmen, Silvia Bender, zugleich Abteilungsleiterin beim Umweltschutzverband BUND. „Eine Frau vom Fach, die auch bei Brandenburger Landwirten bekannt ist“, kündigte Vogel am Montag an, was ein bisschen wie eine Drohung klang, er aber nicht so gemeint haben wollte: Sie werde bei den Landwirten „sehr geschätzt“.

Problematisch kann es in der Koalition vor allem dort werden, wo die Dinge weich oder eben als Prüfauftrag formuliert sind. Etwa in der umstrittenen Frage, was bei Abschiebungen zu tun ist, wenn es in Berlin – die Alternative zum von den Grünen abgelehnten Bau eines eigenen Abschiebegefängnisses – keine freien Abschiebehaftplätze mehr gibt: Dann werde „die Koalition über weitere Maßnahmen beraten“, heißt es im Vertrag.

Bei den Grünen gab sich jüngst Nonnemachers Co-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl, Benjamin Raschke, genau für solche Streitfälle zuversichtlich: Er habe das Gefühl, „dass da bei SPD und CDU Menschen sind, mit denen man auch eine Regierungskrise meistern kann“.

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