: Apokalypse als Möglichkeitsform
„Der Traum ist endlich aus/ und wir sind immer noch da“: Die Noise-Punk-Band Vögel die Erde essen hat mit ihrem zweiten Album „Die Goldene Peitsche“ eine erstaunlich groovende Platte veröffentlicht, die sie jetzt bei einem Konzert im Zukunft am Ostkreuz vorstellt
Von Stephanie Grimm
Erde fressende Vögel, die gibt es wirklich! Das konnte man unlängst auch im ZDF in der tollen BBC-Naturdokumentation „Sieben Kontinente – ein Planet“ sehen. Papageien fliegen Hunderte Kilometer, um sich am Amazonasufer Lehm einzuverleiben. Angeblich, weil der extranahrhaft ist. Die Berliner Band mit dem eindrücklichen Namen Vögel die Erde essen feiert jedoch nicht diese Tiere oder ihre schlaue Genügsamkeit. Zu ihrem Namen kam das vormals noise-punkig, mittlerweile aber luftig groovende Trio durch ihr Interesse an (post)-apokalyptischen Szenarien. Auf Umwegen also.
Als Moritz Bossmann, Gitarrist, Songschreiber und ein Sänger der Band, noch in Weimar Jazz-E-Gitarre studierte, habe er einmal eine Mitfahrgelegenheit bei einem Koranschüler gehabt, erzählt er beim Interview in einem Kreuzberger Café. „Wir haben uns unterhalten, wofür wir uns interessieren und sind bei Bildern von der Apokalypse gelandet.“ Der Koranschüler habe ihm erzählt, dass es im Islam große und kleine Zeichen gibt, dass das Ende der Welt naht. Eines der kleinen Zeichen sei, dass Vögel Erde essen. „Ich musste lachen, auch weil ich das eher in einem Kinderbuch vermutete hätte: ein verspieltes, schönes, kleines Bild.“ Mit der Aneignung dieser Idee docken sie natürlich nicht an eine religiöse Symbolik an. Es sei einfach ein Spiel mit Bildern und mit dem Aberglauben.
Auf dem aktuellen, ihrem zweiten Album „Die Goldene Peitsche“ gibt es übrigens auch einen Song mit dem Titel „Vögel, die Erde essen“. Für Bossmann ist das Stück programmatisch für das, was die Band umtreibt. Zu den heraufbeschworenen Bildern, die im Outro in die Zeilen münden: „Der Traum ist endlich aus/ und wir sind immer noch da“, sah er sich unter anderem durch die Schlussszene aus Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ inspiriert. Ihn interessiere an derartigen Szenarien vor alle die Frage: „Was passiert, nachdem alles kaputt gegangen ist? Uns interessiert die Apokalypse nicht als Ende, sondern als Möglichkeitsform.“
Abgesehen von diesem eher elegischen Song kommt das Album allerdings überraschend funky und groovend daher. Während auf dem Vorgänger noch frenetisch gekloppt wurde, bleibt diesmal vieles in der Schwebe. „Was wir ausdrücken wollen, hat sich aber nicht wirklich verändert. Wir machen es nur auf eine andere Art. Bei der ersten Platte hatten wir noch mehr Spaß an der Eskalation. Das war aber einfach auch anstrengend. Nach Konzerten konnte man sich an nichts erinnern, es war wie ein Rausch. Und zudem hatte das Ganze nur eine einzige Farbe. Diesmal wollten wir mehr Farben.“ Zumal, so findet Bossmann, es den Geist unserer Zeit mehr treffe, wenn das Hässliche in einer schönen Verpackung daherkommt. „An das Unbehagen kommt man nicht ran, wenn man eine Platte voller Feedbackschleifen macht – anders als früher vielleicht, als die Fronten klarer waren. Man muss bei der aktuellen Lebenssituation ansetzen, ins Zentrum des Bösen gehen und genauso verdorbene Scheißmusik machen. Und das dann wiederum brechen.“
Beides, die Aneignung und die Brechung, gelingt ihnen bemerkenswert gut. Im entspannt vor sich hin groovenden Titelsong gibt zwischendurch mal kurz eine progrockige Einlage. Dazu teils mehrstimmiger Gesang. „Zieh kein Gesicht beim Genickschuss/ Das ist Liberalismus/ Und du willst es doch auch/ Ich tanz zum Rhythmus der Goldenen Peitsche.“ Auf dem Papier mag das etwas platt klingen, als Gesamtpaket funktioniert es und wirkt komplex wie catchy. „Für mich ist es aktuell schlüssiger, eine Funk- als eine Punkplatte zu machen“ erklärt Bossmann weiter „weil das viel direkter ansetzt in dem bei Amazon zusammengeshoppten Leben, in dem wir uns eingerichtet haben. In dem wir alles haben können, und alles ist geil. Wobei aber eigentlich gar nichts geil ist.“
Sich zu positionieren ist nicht leicht, gerade im popkulturellen Kontext. Vor ein paar Dekaden war es für die verschiedenen Tribes einfach leichter, ihre jeweilige Sicht der Dinge selbstabsorbierter und eben auch unreflektierter auszuagieren. „Es gibt nicht mehr die Guten oder die Bösen“, findet Bossmann „Das Böse steckt im Guten und umgekehrt. Es gibt zwar im Außen immer noch viel, gegen das man kämpfen kann. Doch die innere Verunsicherung ist zu groß.“
Das ließe sich nicht mehr in Einklang bringen. Weswegen ihr Debütalbum auch den sprechenden Titel „Besuch von innen“ trug. Gegründet haben sich VDEE 2013. Alle Musiker sind zudem in anderen Projekten aktiv: Bossmann bei Käptn Pengs Tentakeln von Delphi, der Bassist Jan Preissler solo und beim Ambient-Electrico Duo Wælder und Oli Friedrich spielt zudem Schlagzeug bei den Mighty Oaks. Eine Band als Haupt- und die andere als Nebenprojekt – ein solcher Ansatz widerstrebt ihnen. Lieber wechsele man sich mit dem Aufmerksamkeitsfokus ab.
Auf jeden Fall hört man ihrem gemeinsamen Projekt den vielfältigen Input an. Der übersetzt sich in informationsdichte Musik, die aber nicht verstiegen oder verquast klingt. Dazu gibt lakonisch gegenwartskommentierende Texte, die manchmal kalauernd daherkommen, oft genug aber auch solch surreale Schlenker entwickeln, dass auch beim wiederholten Hören Spaß machen. Es klingt als fließe viel Arbeit in die Worte, doch erstaunlicherweise will Bossman den Lyrics keine allzu große Bedeutung beimessen.
„Vom Text will ich allenfalls die Assoziation, das Bild, was transportiert wird. Da muss man nicht jedes Wort verstehen Ein Song ist für mich sowieso nichts, was ich verstehen muss. Eher ist er ist wie eine Massage. Die muss ich auch nicht verstehen – entweder sie macht etwas mit mir oder eben nicht.“
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