piwik no script img

Umstrittenes AnkunftszentrumAngst zum Frühstück

Auch schulpflichtige Kinder leben längere Zeit im Ankunftszentrum in Hamburg-Rahlstedt. Vom Mai bis Oktober gab es dort 37 Abschiebungen.

Kurzer Weg zum Klo: das Ankunftszentrum ist eine große Halle mit Einbauten Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | In dem stark umstrittenen „Ankunftszentrum“ für Geflüchtete in Rahlstedt leben auch Schulkinder – und zwar länger als die maximale Zeit von zehn Tagen, die für die Registrierung vorgesehen ist. Das hat das Einwohner-Zentralamt auf taz-Nachfrage eingeräumt. An sich sollen Kinder, für die die Schulpflicht gilt, dort nicht sein.

Wie berichtet gelten die Zustände in den ehemaligen Gewerbehallen am Bargkoppelstieg 10 bis 14 als „unhaltbar“, weshalb der Flüchtlingsrat kürzlich in einem Offenen Brief von den Grünen forderte, sich für deren Schließung einzusetzen.

Im dem aus mehreren Hallen bestehenden Komplex am östlichen Rand Hamburgs herrscht eine Atmosphäre der Angst. Im „Dublin-Bereich“ dort leben Menschen, die keine „Bleibeperspektive“ haben sollen, da sie über europäische Drittstaaten eingereist sind oder aus angeblich sicheren Ländern kommen. Sie müssen laut Senats-Konzept bis zu sechs Monate in den Hallen wohnen bleiben, in denen es keine Privatsphäre gibt.

Bis zu zwölf von ihnen schlafen in „Compartments“, die keine Fenster haben und zur Decke hin offen sind. Alle atmen die selbe Luft, hören die selben Geräusche, gucken ins gleiche Deckenlicht. Und sie bekommen mit, wenn früh morgens Menschen abgeschoben werden.

Wie eine Anfrage der Linken-Politikerin Christiane Schneider ergab, passierte das von Mitte Mai bis Ende Oktober allein 37 mal, im Schnitt zwei mal pro Woche. „Das ist für alle Menschen eine extreme Stressbelastung“, kritisiert Schneider. „Wenn die Polizei früh in den Morgenstunden kommt, steht die ganze Halle Kopf.“ Die ständige Angst, so kritisiert auch der Flüchtlingsrat, mache die Menschen krank. Die beengte Situation führe zu Aggression untereinander, „die auch Kinder miterleben müssen“.

Kein ausreichendes Platzangebot

Bisher einziger Lichtblick: Familien mit Kindern im Schulalter sollten nicht am Bargkoppelstieg festgehalten werden und stattdessen, so wie früher für alle üblich, auf Unterkünfte im Stadtgebiet verteilt werden, und zwar binnen einer Woche. Das entlastet die Stadt davon, am Bargkoppelstieg direkt Unterricht anbieten zu müssen, denn die Schulpflicht gilt für alle, unabhängig vom Status der Eltern.

Kindern unter sechs Jahren dagegen mutet man das Leben dort zu. Laut der Linken-Anfrage lebten zum Stichtag 19. November bereits 233 Menschen im „Dublin-Bereich“, darunter sogar 28 länger als sechs Monate. Und unter ihnen waren 63 Frauen und 20 minderjährige Kinder, darunter vier Babys und weitere Kleinkinder.

Allerdings erhielt die taz Hinweise, dass auch ältere Kinder am Barkoppelstieg sein sollen und das auch über längere Zeit. Unter anderem forderte das Kinder-Hilfsprojekt „Kids welcome“ in sozialen Netzwerken zu Weihnachtsspenden für den Bargkoppelstieg auf. Dort gebe es allein 15 Teenager zu beschenken.

Nach älteren Kindern gefragt, erklärt der Sprecher des Einwohnerzentralamts, Florian Käckenmester, Schulpflichtige seien von der „längeren Aufenthaltsdauer bei fehlender Bleibeperspektive“ zwar ausgeschlossen. „In dem regulären Aufnahme- und Registrierungsprozess, der regelhaft zehn Tage nicht überschreiten soll, ist es in der Vergangenheit tatsächlich kurzzeitig zu Verzögerungen gekommen.“

Das liege daran, dass auf einmal deutlich mehr Familien als Einzelpersonen gekommen seien. Auch aktuell werde für „einige Familien“ nach einer dezentralen Unterbringung gesucht, was schwierig sei, „da erst ein ausreichendes und zusammenhängendes Platzangebot geschaffen werden muss“. Aber alle seien interessiert, dass das schnell gehe, da man die Schulpflicht „äußerst ernst“ nehme.

Die Linken-Abgeordnete Schneider sagt: „Es ist ärgerlich, dass der Senat dies nicht in der Antwort auf meine Anfrage dargelegt hat.“ Sie will nun in einer neuen Anfrage gezielt nach den Schulkindern fragen. Die Abgeordnete hat die Hallen vor gut einem Jahr besucht und sagt, die gehörten geschlossen.

Auch Dirk Hauer, der Leiter des Fachbereichs Migration und Existenzsicherung der Diakonie, hat den Hallen-Komplex im August besichtigt und sagt: „Dass da überhaupt Kinder sind, ist ein Skandal.“ Auch die Eltern mit kleinen Kindern müssten sofort anders untergebracht werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare