Irreführende Hambuger Kriminalstatistik: Wie Mathe die Sicherheit erhöht

Im „Stadtteil-Atlas“ der Hamburger Polizei erscheint Rahlstedt als Hotspot der Kriminalität. Jedenfalls, wenn man dessen Größe außer Acht lässt.

Blaulicht auf dem Dach eines Peterwagens

Tatütata – in anderen Stadtteilen registrierte die Polizei auch Straftaten, nur sind sie kleiner Foto: Andreas Arnold/dpa

An sich wohne ich in Hamburgs unauffälligstem Stadtteil. Rahlstedt liegt ganz am Ostrand des Stadtstaats. Hier leben überdurchschnittlich viele Kinder und Familien, der Ort hat einen durchschnittlichen Migrationsanteil und eine leicht unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote. All diese schönen Daten sind in den „Stadtteilprofilen“ des Statistikamts Nord nachzulesen.

Nur einmal im Jahr fällt mir beim Frühstück vor Schreck das Brötchen aus der Hand, wenn ich das Hamburger Abendblatt aufschlage. Dunkelrot hebt sich die an ein umgekipptes Herz erinnernde Form meines Rahlstedt von den rosafarbenen Nachbarn Farmsen, Tonndorf und Jenfeld ab. „Welche Stadtteile die unsichersten sind“, betitelte das Blatt seine Grafik über „Straftaten in Hamburg“. Das alles verrate der neue „Stadtteilatlas“ der Polizei.

Und, oh je. 5.064 erfasste Straftaten gab es 2021 in dem gekippten Herz. Und zwischen 5.000 und 10.000 Straftaten im Jahr gibt beim Abendblatt nun mal die Kennzeichnung mit Ochsenblutrot. Dabei geht nicht nur die gute Botschaft unter, dass auch 2021 die Kriminalität überall zurückging. Es ist einfach ungerecht, den mir ans Herz gewachsenen Stadtteil als Kriminalitäts-Eldorado darzustellen.

Nun gut, unter den 5.064 Fällen mag die Dusseligkeit eines Bekannten enthalten sein, der kurz vor Weihnachten einfach sein Handy über Nacht auf der Gartenmauer liegen ließ, und danach war es weg. Eingebrochen wurde bei uns auch schon mal, vor 20 Jahren. Die Polizisten bemitleideten uns damals wegen der Verwüstung im Kinderzimmer. Wir unterließen es, sie darüber aufzuklären, dass es da immer so aussah. Unsere Eheringe sind seit damals weg, aber das war eine Entlastung. Ich denke, das bringt Glück.

Kleine Stadtteile sind nicht ohne

Auch wenn noch mal ungebetene Diebe kamen – besonders unsicher fühlen wir uns in Rahlstedt nicht. Und das liegt auch daran, das wir eine Grundrechenart beherrschen: Rahl­stedt ist nicht nur gut durchmischt, sondern mit 92.511 auch der bevölkerungsreichste der 104 Hamburger Stadtteile. Ins Verhältnis zu 1.000 Einwohnern gesetzt, gab es bei uns 55 Straftaten.

Die rosa gefärbten Nachbarviertel hatten nach dieser Rechnung alle mehr Straftaten, nämlich Farmsen-Berne 61, Tonndorf 70 und Jenfeld 63. Pro Tausend Einwohner gerechnet hat auch das in der Grafik ebenfalls mit Dunkelrot gebrandmarkte – und mit über 70.000 Einwohnern auch bevölkerungsreiche – Billstedt weniger Kriminalität als zum Beispiel die schnieke Hafencity, nämlich 86 gegenüber 141.

Auch nach Fläche betrachtet sähe das Ranking anders aus. In Rahlstedt mit seinen 26,6 Quadratkilometern gab es 2021 nur 190 Straftaten pro Kilometerquadrat. Im feinen Winterhude nahe der Alster waren es 515. Das beliebte Altbauviertel Hoheluft-West beklagte gar 694 Straftaten auf seinen 0,7 Quadratkilometern.

Gefragt, warum sie die Zahl der Straftaten nicht ins Verhältnis zur Bewohnerzahl setzte, erklärt die Polizeipressestelle, das Statistikamt stelle keine kleinteiligeren Zahlen zur Verfügung. Und, na ja, die Grafik selbst stammt ja auch nicht von der Polizei. Die hat jene Zeitung, die ich zum Frühstück lese, fabriziert. So muss denn, wer sich ein Bild von der Lage im eigenen Wohnumfeld machen will, die eingangs erwähnten Stadtteilprofile selbst anschauen – und sich im Dividieren üben.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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