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Nach der Explosion protestieren die Schafe

Der Dokumentarfilm „Campo“ von Tiago Hespanha erkundet langsam, aber beharrlich das Leben auf einer portugiesischen Militärbasis

Von Fabian Tietke

Tiago Hespanhas Dokumentarfilm „Campo“ beginnt, wie jeder Film anfangen sollte: mit Schafen. Im Falle von „Campo“ weiden sie auf dem Gelände der größten Militärbasis Europas, in Alcochete südlich von Lissabon. Im Morgengrauen kriegen sie vom Himmel aus Gesellschaft in Form von Fallschirmspringern, die langsam vom Himmel herabsinken. Eine Gesellschaft, die sie umgehend wieder ignorieren.

Der portugiesische Schießplatz ist voller Ungleichzeitigkeiten: während in einer Ecke ein Panzer schießt, joggt in einer anderen Ecke eine Gruppe von Menschen durch die Landschaft. Wieder woanders summen Bienen, ein Imker inspiziert die Bienenkästen und spricht seine Bestandsaufnahme in ein Diktiergerät. Über das Feld wandernd, zählt ein Ornithologe den Vogelbestand und kartiert ihn. Während wiederum ein Mann in Zivilkleidung die Vögel in einer Voliere bespaßt, gehen im Hintergrund uniformierte Soldaten vorbei.

Die Landschaft ist eine Idylle auf Abruf. Die Schießübungen hinterlassen klare Spuren in der Natur. Als nach einer Explosion Staub über der Landschaft hängt, protestieren die Schafe.

„Campo“ erkundet langsam, aber beharrlich das Leben auf der Militärbasis und um sie herum. Die Ereignisse vollziehen sich wie in Zeitlupe. Jeder Aktion gehen ein längerer Aufbau und viel Warten voraus. Die Soldatinnen und Soldaten stehen meist herum oder warten im Auto, schlagen die Zeit mit Videos aus dem Internet tot. Schließlich hocken sie, sich die Ohren zuhaltend, im Gebüsch und warten auf den Knall.

Eine Tür im Nirgendwo wird gesprengt. Als die Tür weg ist, zieht die Gruppe plaudernd ab durch die Landschaft. Die angesichts der Vorbereitungen geweckten Erwartungen auf Spektakuläres prallen wieder und wieder auf die Banalität des Alltags militärischer Übungen. Als es dunkelt, werden verschiedene Szenarien geprobt, Schießübungen gemacht.

Anwohnerinnen und Anwohner des Schießplatzes hören die Übungen kilometerweit. In der Stille der Landschaft sticht der Lärm der Schüsse und Explo­sio­nen heraus. Wenn die Wolkendecke dicht ist, ist der Lärm der Bomben, die die Flugzeuge abwerfen, besonders stark.

Nachts machen sich Sternengucker die Dunkelheit auf dem Schießplatz zunutze und stellen ihre Fernrohre auf. Auf dem Platz liegen Natur und ­militärische Nutzfläche nahe beieinander. Für kurze Momente wirkt es in „Campo“ immer wieder, als wären sie eine symbiotische Beziehung eingegangen. Im nächsten Moment jedoch scheinen sie wieder unvereinbar zu sein.

Tiago Hespanha trat zuletzt als Produzent des portugiesischen Festivalerfolgs „A fábrica de nada“ und als Regisseur einiger Dokumentarfilme in Erscheinung. „Campo“ feierte im November beim Leipziger Dokumentar­filmfestival seine Deutschlandpremiere. Den regulären Kinostart verdankt der Film nun der Verleihsparte des Berliner Kinos Wolf, die sich in diesem Jahr auf portugiesischen Film spezialisiert zu haben scheint.

Der Kinostart ist löblich, denn „Campo“ ist ein Film, den man im Kino sehen sollte. Die Landschaftsbilder im Zwielicht sind von einer berückenden Schönheit, über die man dem Film seinen etwas prätentiösen Kommentartext zu verzeihen bereit ist. Dieser Text ist umso bedauerlicher, als er dem Film insgesamtetwas Schwur­beliges verleiht, was ihm auf der Bildebene ganz fremd ist. Die Bilder eröffnen uns den Blick auf einen faszinierenden Unort, an dem mehrere, höchst unterschiedliche Nutzungen nebeneinander bestehen. Vor allem in den Nachtaufnahmen überlagert sich die Inszenierung der Übungsszenarien mit den vom Licht der Übungen geformten Filmbildern. Tiago Hespanhas „Campo“ mag nicht frei von Mängeln sein, sehenswert ist der Film dennoch.

„Campo“. Regie: Tiago Hespanha. Portugal 2019, 101 Min.

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