Die Wahrheit: Eine üble Entdeckung

Da will man nur ordnungsgemäß den Müll hinaustragen – und dann das! Im grauen Mülleimer liegt etwas, das einen fast zu Tode erschreckt.

Es gibt nur wenige Gründe für mich, das Haus zu verlassen. Einer davon ist das Hinausschaffen der Küchenabfälle. Dazu muss ich Straßenschuhe und etwas Ausgehtaugliches anziehen, denn es handelt sich um einen öffentlichen Auftritt. Nachbarn und Passanten können mich auf dem Weg zur Mülltonne und zurück sehen. Gern unternehme ich solche Ausflüge nicht, doch hat man ja keine Wahl, wenn man es ablehnt, in einer stinkenden, von kleinen und großen Fliegen überbevölkerten Wohnung zu leben.

Im Sommer des vorigen Jahres ereignete sich bei einem meiner Entsorgungsgänge etwas Verstörendes. Um einen prall gefüllten Abfallbeutel in den hohen dunkelgrauen Behälter zu werfen, klappte ich dessen Deckel auf und erschrak fast zu Tode. Auf dem sich schon fast bis zum Rand auftürmenden Müll lag etwas, das ich zunächst für einen toten Säugling hielt.

Man hört und liest ja laufend Berichte über solche furchtbaren Vorkommnisse. Befremdlicherweise trug das, was da vor mir lag, aber maßstabsgerechte – allerdings etwas fremdartige – Erwachsenenkleidung, und bei genauerem Hinsehen erkannte ich dann, dass es sich gar nicht um einen Säugling handelte, sondern um einen sehr kleinen Mann von etwa fünfzig Jahren.

Tot war er ganz offensichtlich, wenn auch keine Verletzung an ihm zu sehen war. Ich fragte mich, warum es ein Wesen wie ihn überhaupt gab, wie er gerade in meine Mülltonne geraten war und was nun zu tun sei. Mir fiel beim besten Willen nicht ein, welche Maßnahmen ein vernünftiger Mensch in dieser Situation ergreifen würde. Vielleicht musste ich die Polizei verständigen, aber in eine dermaßen unmögliche Angelegenheit wollte ich keinesfalls hineingezogen werden.

Ein solcher Leichenfund würde natürlich enormes Aufsehen erregen. Deshalb war zu erwarten, dass den Behörden um jeden Preis an Geheimhaltung gelegen sein musste. Für einen Augenzeugen konnte es bestimmt überaus gefährlich werden. Ausgerechnet mir, der ich an nichts mehr interessiert war, als mich vor der Welt zu verstecken, musste so etwas passieren!

Rein theoretisch konnten in den Mülltonnen der anderen Mieter ebenfalls tote Zwerge liegen, doch ich verzichtete lieber darauf, mich diesbezüglich zu vergewissern. Es galt, die Ruhe zu bewahren und strikt alles zu vermeiden, was auffällig wirkte. Also klappte ich den Deckel wieder zu und trug die Küchenabfälle in meine Wohnung zurück.

Die turnusmäßige Leerung der Mülltonnen am nächsten Tag verlief ohne Zwischenfälle. Seither ist alles wieder wie früher, doch der Anblick der puppengroßen Leiche verfolgt mich. Ich kann den Gedanken nicht abschütteln, ihre Entdeckung werde früher oder später noch Folgen für mich oder für uns alle haben. Welcherart diese Folgen sein könnten, vermag ich mir nicht vorzustellen, doch dürften sie wohl kaum angenehm ausfallen.

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kari

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