: Gesundheitsberufe als Chance für MigrantInnen
Die Anerkennung der in ihrem Heimatland durchlaufenen Ausbildung ist aufwendig und kompliziert – doch nicht selten arbeiten Fachkräfte in Deutschland weit unterhalb ihrer Qualifikation. In vielen Gesundheitsberufen herrscht eklatanter Fachkräftemangel, sie gelten deshalb für MigrantInnen als gute Chance, beruflich Fuß zu fassen
Von Joachim Göres
Krankengymnastik, Atemtherapie, Massage, manuelle Lymphdrainage und vieles mehr bietet Sama Safi in Hannover an. Die Physiotherapeutin, die mit neun Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kam, hat sich 2011 selbstständig gemacht. „Mein Traum war es, in der Gesundheitsbranche zu arbeiten. Mein Beruf ist für mich die goldene Mitte zwischen Ärztin und Krankenschwester. Ich wollte mein eigener Chef sein“, sagt die 39-Jährige.
Mittlerweile beschäftigt sie sieben Frauen und Männer in ihrer Physiotherapiepraxis mit den Schwerpunkten Osteopathie und Orthopädie. „Ich würde mich über mehr Bewerbungen von Frauen mit Migrationshintergrund freuen. Doch ich weiß, dass zum Beispiel in afghanischen Familien Mädchen oft an zweiter Stelle stehen und sie sich aus fehlendem Selbstbewusstsein nicht ins Berufsleben trauen, obwohl sie dazu fähig sind“, erläutert Safi.
In vielen Gesundheitsberufen herrscht in Deutschland Fachkräftemangel, sie gelten deshalb für Migrantinnen sowie für geflüchtete Frauen als Chance, beruflich Fuß zu fassen. Auf einem Netzwerk-Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes kürzlich in Hannover sprachen die Teilnehmerinnen über ihre Erfahrungen.
Zohra Belarbi* hat in Algerien Medizin studiert, in Deutschland die Prüfungen zur Anerkennung ihrer Leistungen bestanden und sich dann bei vielen Kliniken beworben. „Ich bekam anfangs nur Absagen, weil ich ein Kopftuch trage“, sagt die 31-Jährige, die heute als Fachärztin in Weiterbildung für Innere Medizin in einem katholischen Krankenhaus in Salzgitter arbeitet. „Hier ist die Kompetenz entscheidend. Bei Kollegen und Patienten gibt es keine negativen Reaktionen wegen des Kopftuchs“,betont Belarbi.
MedizinerInnen aus dem Ausland müssen ausreichende Deutschkenntnisse in einer Fachsprachprüfung nachweisen, zudem wird, je nach Herkunftsland, häufig das Bestehen einer sogenannten Kenntnisprüfung verlangt. Im Bereich der Ärztekammer Hannover haben 2018 435 Mediziner die Fachsprachprüfung bestanden (von 934), bei der Kenntnisprüfung waren 63 von 77 erfolgreich.
Die mexikanische Ärztin Sandra Cante-Tejo lebt seit zwei Jahren in Hannover und bereitet sich in einem fünfmonatigen Kurs auf die Prüfungen vor. „Diese Kurse sind sehr teuer. Ohne Stipendium könnte ich mir das nicht leisten“, sagt die 28-Jährige, die bereits in Mexiko im Krankenhaus als Ärztin gearbeitet hat. „Dort ist es als Patient viel schwieriger, einen Termin zu bekommen, die technische Ausstattung ist schlechter. Dafür nimmt man sich in Mexiko mehr Zeit für die Kranken und hat mehr Erfahrung in der Diagnostik ohne großen Technikeinsatz“, sagt die Frau mit dem Berufsziel Gynäkologin.
Mahmoud Parvari ist fachlicher Leiter des KSD Pflegedienstes in Hannover und auf der Suche nach Pflegepersonal. Er hat mehrere Interessentinnen, die im Ausland ihre Fachausbildung gemacht haben. Damit die in Deutschland anerkannt wird, müssen sie hier eine Anerkennungsprüfung bestehen. Als Vorbereitung darauf dienen Kurse, die bis zu 5.000 Euro kosten. „Bis Ende 2018 wurden diese von der EU bezahlt. Jetzt müssen die Teilnehmer selber dafür aufkommen und können sich das oft nicht leisten“, sagt Parvari. Auch ohne die Anerkennung ihrer Ausbildung – nicht selten ein Studium der Krankenpflege – können sie in Heimen oder bei Pflegediensten arbeiten, aber eben nur als schlecht bezahlte Helferinnen.
Zu schwierig, zu teuer, zu kompliziert – Katrin Köhne kennt etliche Migrantinnen, die vor diesen Prüfungen zurückschrecken und unterhalb ihrer Qualifikation im Gesundheitsbereich arbeiten, nicht zuletzt, weil sie darauf angewiesen sind, sofort Geld zu verdienen und nicht noch in ihre Fortbildung investieren können. Köhne ist in Osnabrück stellvertretende Projektleiterin im IQ Netzwerk, das Menschen mit ausländischen Wurzeln unter anderem aus Gesundheitsberufen dabei unterstützt, ihren Berufsabschluss in Deutschland anerkennen zu lassen oder eine geeignete Anpassungsqualifizierung zu finden. „Die Anerkennung von Abschlüssen aus EU-Staaten ist unproblematisch. Wer aus Afrika kommt, hat eher Probleme“, berichtet Köhne.
Für Frauen ohne Berufserfahrung hält Ahmet Kimil vom Ethno-Medizinischen Zentrum Hannover einen anderen Weg für erfolgversprechend. „Geflüchteten Frauen bieten wir seit 2016 eine Schulung über 50 Stunden zum Thema Gewaltprävention an. Sie lernen das deutsche Rechts- und Hilfesystem kennen und stellen es dann in ihrer Muttersprache anderen Flüchtlingen vor. Bisher haben wir 300 Frauen geschult und nicht wenige sind dadurch in ihrem Selbstbewusstsein so gestärkt worden, dass sie selber eine Stelle gefunden haben“, sagt der Psychologe.
Gerade ländliche Regionen haben Probleme, Gesundheitsfachkräfte zu finden. In Goslar setzt man deshalb darauf, Geflüchtete fortzubilden. Sie absolvieren im Rahmen des Programms „Gesundheitsregion Goslar“ ein bis zu sechsmonatiges Praktikum in der Alten- oder Krankenpflege, erhalten berufsbezogenen Sprachunterricht und sollen so ihre Chancen auf eine entsprechende Ausbildungsstelle erhöhen.
Eine vom ihnen ist Lina Karimani* Die gebürtige Albanerin wollte eigentlich nach dem Abitur in ihrem Heimatland Medizin studieren. Nach ihrer Flucht 2015 nach Deutschland konnte sie 2016 eine berufsvorbereitende Maßnahme beginnen. Jetzt macht die 25-Jährige eine Ausbildung in der Altenpflege in einer Senioreneinrichtung in Goslar.
*Name geändert
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