: Pflegehelfer vor Gericht
Am Dienstag begann der Prozess gegen einen 39-Jährigen, der in mindestens zwei Fällen Menschen falsche Medikamente gegeben haben soll, um sie zu retten
VonEiken Bruhn
Wegen gefährlicher Körperverletzung muss sich seit dem gestrigen Dienstag ein 39-jähriger Pflegehelfer verantworten. Ihm wird vorgeworfen, im März zwei Bewohnerinnen eines Pflegeheims ohne ärztliche Verordnung Insulin gespritzt zu haben.
Eine der beiden sei daraufhin in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus gekommen, wo sie intensivmedizinisch behandelt wurde, so die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Darin heißt es weiter, dass der Angeklagte Manuel W. die 75-Jährige krampfend und mit blauen Lippen in ihrem Zimmer vorgefunden habe.
Mit einem Zuckermessgerät habe er den Blutzucker gemessen, „obwohl er eigentlich gar keinen Zugang zu dem Gerät hatte“, sagte der Staatsanwalt am Dienstag. Manuel W. habe durch „seine vermeintlich kompetente Hilfeleistung Aufmerksamkeit und Anerkennung“ erhalten wollen. Ursprünglich hatte die Bremer Staatsanwaltschaft ihn wegen versuchten Mordes angeklagt, doch das Landgericht hatte diese Anklage nicht zugelassen.
Der erste Verhandlungstag ging schnell zu Ende, weil die Staatsanwaltschaft in drei weiteren ähnlichen Verfahren gegen Manuel W. ermittelt und ihn sowie seine Lebensgefährtin vernehmen will. Die Akten aus diesen Ermittlungsverfahren sollen zunächst allen Verfahrensbeteiligten – darunter die Nebenklagevertreterin der geschädigten 75-Jährigen – bekannt gemacht werden.
Erst danach, also am nächsten Verhandlungstag in zwei Wochen, würde dem Angeklagten die Gelegenheit gegeben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Das gab der Vorsitzende Richter Manfred Kelle am Dienstag nach einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung bekannt. Dabei sagte er auch, dass die Polizei derzeit weiter „im Umfeld“ des Angeklagten ermittle, ob es weitere verdächtige Fälle gegeben habe. Der Mann hatte seit Mitte Januar im diakonischen Pflegezentrum am Bremer Doventor gearbeitet. Zuvor war er nach Informationen der Staatsanwaltschaft als Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma in bis zu 35 Einrichtungen tätig gewesen.
Der Angeklagte wirkte während der Verhandlung sehr unruhig. Mit aufgerissenen Augen und unstetem Blick saß er wippend auf der Anklagebank. Eine Sachverständige begleitet den Prozess, um eine psychiatrische Einschätzung zu seiner Schuldfähigkeit abgeben zu können.
Der Fall erinnert an den von Niels Högel. Der ehemalige Krankenpfleger war Anfang Juni vom Landgericht Oldenburg wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er soll zwischen 2000 und 2005 seine Patient*innen mit Medikamenten vergiftet haben, um sich als Retter aufspielen zu können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Im September wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Oldenburg fünf ehemalige Vorgesetzte von Högel angeklagt hat. Den Beschäftigten des Klinikums Oldenburg werde Totschlag durch Unterlassen vorgeworfen, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Trotz deutlicher Hinweise hätten sie Högel bei den Morden an Patienten nicht gestoppt. Zwei der Angeklagten wurden mit sofortiger Wirkung freigestellt, drei weitere arbeiten nicht mehr in der Klinik.
Angeklagt sind dem Sprecher zufolge der langjährige Geschäftsführer, die damalige Pflegedirektorin, der ehemalige Chefarzt der Herzchirurgie, der Chefarzt der Anästhesie sowie ein Stationsleiter. Dem Geschäftsführer und der Pflegedirektorin werden jeweils 63 Fälle vorgeworfen, einem Chefarzt 60 Fälle, dem zweiten Chefarzt und dem Stationsleiter je drei Fälle. Ihnen drohen zwischen fünf und 15 Jahre Haft.
Im August wurde außerdem bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Saarbrücken in einem ähnlichen Fall gegen einen 27-Jährigen wegen fünffachen Mordes und zweifachen Mordversuchs ermittelt. Er soll zwischen 2015 und 2016 Patient*innen falsche Medikamente gegeben haben, um sie retten zu können.
(mit Material von epd und dpa)
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