Das Aus für Rojava

Die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei in Sotschi bedeutet das Ende der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien

Kurdische Polizeikräfte bewachen in Kamischli im Nordosten Syriens eine Demonstration gegen den türkischen Präsidenten Foto: Muhammad Hamed/reuters

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Mit einer verzweifelten Botschaft versuchte Ilham Ahmed, Präsident des Demokratischen Kongresses in Nordsyrien, bei einem Besuch bei der Opposition in Washington noch einmal, gegen den US-Rückzug aus Nordsyrien zu mobilisieren: „Wir werden niemals zustimmen, dass unser Land besetzt wird.“ Ahmed sitzt einer der Institutionen vor, die die syrisch-kurdische Selbstverwaltung in Rojava gegründet hatten. Ähnlich äußerte sich am Mittwoch einer der Sprecher der kurdischen Gemeinde in Deutschland, Mehmet Tanrıverdi. Der Westen dürfe doch Syrien und den Nahen Osten nicht den Russen überlassen.

Am selben Tag aber entschieden der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sein russischer Partner Präsident Wladimir Putin am Dienstagabend in Sotschi über das Schicksal Nordsyriens.

Nach Angaben von US-Präsident Donald Trump hat die Türkei am Mittwochabend schließlich eine dauerhafte Waffenruhe in Nordsyrien verkündet. Daraufhin hob Trump auch die US-Sanktionen gegen die Türkei auf.

Putin und Erdoğan haben das Schicksal Nordsyriens unter sich ausgemacht. Und Rojava, als de facto autonomes kurdisches Gebiet, hat darin keinen Platz mehr. Nach dem von den USA erzwungenen Rückzug der kurdischen YPG-Miliz aus dem Gebiet zwischen Ras al-Ain und Tal Abjad fordern nun Putin und Erdoğan in einer ähnlichen Vereinbarung, wie sie zuvor US-Vizepräsident Mike Pence mit Erdoğan geschlossen hatte, den Rückzug der YPG-Miliz aus dem gesamten Grenzgebiet zwischen dem Euphrat und der irakischen Grenze. Bis Dienstag kom­mender Woche haben sie dafür Zeit.

Ab dann wollen russische Militärpolizisten gemeinsam mit Einheiten der türkischen Armee die Grenzregion überwachen. Sollten die YPG-Kämpfer sich weigern, der Aufforderung nachzukommen, werde passieren, was Kreml-Sprecher Dimitri Peskow gestern beschrieb: Die russische Militärpolizei und die syrischen Grenzwächter des Assad-Regimes würden sich zurückziehen und die verbleibenden Kurden der türkischen Armee über­lassen. „Die würden sie dann in der Tat zermalmen“, sagte Peskow und nahm auf eine Drohung Erdoğans ­Bezug.

Putin und Erdoğan machen das Schicksal Nord­syriens nun unter sich aus

Am Mittwochmorgen haben Einheiten der russischen Militärpolizei im kurdischen Kobani und in Manbidsch, zwei besonders umkämpften Städten in der Region, bereits Stellungen bezogen. Das entspricht nicht nur dem Deal zwischen Erdoğan und Putin, sondern auch der Ver­einbarung, die Vertreter der Kurden zuvor zum Schutzvor der türkischen Armee bereits mit dem Assad-Regime getroffen hatten – nur dass Assad und Putin nun mit Erdoğan zusammenarbeiten und die Kurden damit jeglichen Schutz verloren haben.

Nach der Vereinbarung von Sotschi von Dienstagabend ist deshalb auch nicht mehr vorstellbar, dass die kurdische Selbstverwaltung weiter funktionieren kann. Jenseits der 30-Kilometer-Zone, aus der die kurdischen Einheiten sich zurückziehen müssen, ist bis auf die Region al-Hasaka ganz im Nordosten Syriens vorwiegend Wüste.

Vielen Flüchtlingen – die Vereinten Nationen sprechen von 160.000 Personen, die Kurden gar von 400.000 geflohenen Zivilisten – wird deshalb auch nicht viel mehr übrig bleiben, als in ihre Dörfer und Städte zurückzukehren, auch wenn die dann unter russisch-syrischer oder türkischer Kon­trolle stehen.