piwik no script img

Fußballfans ­ –Polizei 3:0

Wiebke K. ist Fan von Hannover 96. Damit galt sie bei der Polizei als Gefahr und speicherte ihre Daten in einer Geheimdatei. Jetzt muss die Behörde die Daten löschen, hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden

Von Simone Schmollack

Wie schnell jemand als gefährlich, kriminell und gewaltbereit eingestuft werden kann, weiß Wiebke K. ganz genau. Dabei hat die 30-Jährige nie geklaut, keine Oma überfallen, ihren Freund nicht geschlagen und ist auch sonst polizeilich nicht aufgefallen. Ihr einziger „Makel“: Sie ist Fußballfan, genauer gesagt, Fan des Zweitligisten Hannover 96. Und damit für die Polizei in Niedersachsen per se gefährlich. Zumindest stellte sich das für die 30-jährige Rechtsanwaltsgehilfin aus Hannover bis vor Kurzem genauso dar.

Jetzt ist sie juristisch rehabilitiert, nach mehreren Gerichtsprozessen und einem endgültigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg ist nun klar: Wiebke K. hat eine „saubere Weste“. Aber der Reihe nach.

Im Frühjahr 2014 fuhr Wiebke K. nach Braunschweig, um ihren Lieblingsklub bei dem Auswärtsspiel dort zu bejubeln. Mit K. waren viele andere Fans unterwegs, wie das Fußballfanatiker eben so machen. Doch die junge Frau wurde nicht ins Stadion gelassen. Die Polizei hatte ihr ein „Betretungs- und Aufenthaltsverbot“ erteilt. Warum das? Wiebke K. wunderte sich, sie hatte noch nie randaliert und keinen einzigen Bengalo geworfen. Solche Vorfälle gibt es zweifelsohne, eine randalierende Fanszene ist in Deutschland mittlerweile Alltag im Fußball. In der Saison 2018/2019 wurden laut der Zentralen Informationsstelle Sport­einsätze (ZIS) in Niedersachsen 487 Strafverfahren nach Fußballspielen eingeleitet, 222 allein nach Spielen von Hannover 96.

Aber Wiebke K. gehört nicht zu den Randalierer*innen. Im Gegenteil. Sie halte sich von Krawallen fern, sagte sie einmal in einem Medienbericht. Mit Randale wolle sie nichts zu tun haben. Aber nun durfte sie nicht ins Stadion. Was war da los?

„Grundsätzlich ist eine Entschädigung möglich“

Andreas Hüttl, Anwalt

Sie fragte bei der Polizei in Hannover nach. Die erklärte, sie, die junge Frau, gehöre zur „Problemfanszene“, also zu jener auf Krawall gebürsteten Masse, die sie meidet. Wie die Polizei denn darauf komme, wollte Wiebke K. weiter wissen. Antwort: Sie sei in einer Datei mit dem beschreibenden Namen „Arbeitsdatei Szenekundige Beamte“ (SKB) gelistet. Die sammelt Daten von Fans: Namen, Spitznamen, Fotos, Aktivitäten. Eine SKB-Datei? Und sie mit dabei? Was soll das? Wiebke K. begann nachzuhaken und zu klagen: Sie wollte, dass ihr Name und die acht Einträge, die sie mittlerweile hatte, aus der Datei gelöscht werden. Schließlich wurden hier friedliche und gewaltbereite Fans in einen Topf geworfen.

Das Ganze dauerte fünf Jahre, beschäftigte drei Instanzen: das Verwaltungsgericht Hannover, das Oberverwaltungsgericht Lüneburg und sogar das Bundesverwaltungsgericht. Um am Ende klarzustellen: Die Polizei hat widerrechtlich K.s Daten aufgenommen, den Datenschutz missachtet und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der jungen Frau verletzt. Jetzt müssen alle Angaben zu K. aus der Datei entfernt werden. Und auch die der anderen Personen, die bis 2014 dort verzeichnet wurden.

Der Vorfall ist ein Datenschutzskandal erster Güte. Denn die ersten Daten von Fußballliebhaber*innen in Niedersachsen wurden schon früher gesammelt. Andreas Hüttl, K.s Anwalt, spricht von 2005, zu jener Zeit soll die Datei eingerichtet worden sein. 2009 wird Wiebke K. das erste Mal dort erwähnt.

Ungeachtet dessen gibt es viele Fragen: Warum hat die Polizei die SKB-Datei geheim gehalten? Warum hat sie die niedersächsische Datenschutzbehörde davon nicht in Kenntnis gesetzt? Warum hat sie keine Verfahrensbeschreibung, eine gesetzliche Pflicht beim Erstellen solcher Verzeichnisse, verfasst? Fragen, die die Polizeidirektion Hannover bis Redaktionsschluss nicht beantworten konnte.

Für Andreas Hüttl, K.s Anwalt, stellt sich jetzt die Frage nach einem Schadensersatz. Er sagt: „Grundsätzlich ist das möglich.“ Aber wie berechnet man einen Schaden wie im Fall Wiebke K.? Was ist es (finanziell) wert, fünf Jahre lang unrechtmäßig in einer unliebsamen Datei gespeichert zu sein? Wie hoch könnte die Entschädigung dafür sein, nicht ins Stadion gelassen zu werden? „Es gibt wenig Referenzfälle, auf welche Höhe sich ein Schadensersatz belaufen könnte“, sagt Anwalt Hüttl.

Die Fanhilfe Hannover, die Fans wie Wiebke K. in juristischen Konflikten unterstützt, begrüßt das Urteil des OVG Lüneburg. „Die Fanhilfe Hannover wird auch in Zukunft mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Datensammelwut der Polizeibehörden vorgehen und rechtswidriges Verhalten von Polizeibeamten bekämpfen“, schreibt der Verein auf seiner Homepage.

Und Wiebke K.? Darf sich auf das nächste Spiel ihrer Lieblingsmannschaft freuen. Das findet am kommenden Samstag um 13 Uhr in Karlsruhe statt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen