Kriterien beim Deutschen Buchpreis: Öfter mal zum Buch greifen

Ist der Deutsche Buchpreis eine Werbemaßnahme oder geht es um literarische Qualität? Die Bekenntnisse einer Jurorin lösten eine Debatte aus.

Eng nebeneinander gerückt sind in der Buchauslage die Romane "Das flüssige Land", "Winterbienen" und "Brüder", weitere nominierte Titel dahinter.

Schaufenster einer Buchhandlung mit den Romanen, die für den Deutschen Buchpreis nominiert sind Foto: Jens Büttner

Mal wieder gibt es Streit um den Deutschen Buchpreis. Vor der Vergabe hatte sich Jury-Mitglied Petra Hartlieb in der Wiener Tageszeitung Die Presse über die anstrengenden Lektüren beklagt: „Es tauchen auch Bücher auf den Lieblingslisten der Juroren auf, von denen ich nicht mehr als hundert Seiten schaffe, ich kann das nicht lesen, ich kann das nicht verstehen, ich kann das vermutlich nicht verkaufen, ich habe schon Schwierigkeiten, der Lobeshymne des Kollegen zu folgen. Und da, wie ein rettender Anker, eine kurze Mail des zweiten Buchhändlers in der Jury: ‚Wir müssen das verhindern.‘“

Die Ausführungen der Wiener Buchhändlerin irritierten nicht wegen der eingestandenen Überforderung, sondern wegen der naiven und zugleich angeberisch vorgetragenen Offenheit. Verärgert meldeten sich ehemalige Juroren zu Wort, wie der Leiter des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz. Hartliebs Text, schrieb er in der NZZ, stelle „unfreiwillig blamabel das Prozedere eines der wichtigsten deutschen Literaturpreise bloß“.

Wie erfolgreich Hartliebs Verhinderungsmission war, ist schwer zu beurteilen, gerade aber in Hinblick auf Long- und Shortlist gab es deutliche Kritik, dass nämlich erschreckend schwache Titel ausgewählt, herausragende Werke wie die von Norbert Gstrein oder Steffen Kopetzky indes ignoriert worden seien. Die Hamburger Zeit nannte die Shortlist einfach nur „peinlich“.

Unklare Ausrichtung

Die Diskussionen sind nicht neu, da Schlaumeier freilich immer Bücher nennen können, die übergangen worden sind. Doch es geht mittlerweile um einen grundsätzlichen Konflikt, der in der unklaren Ausrichtung des Preises angelegt ist. Laut Statuten soll mit dem Buchpreis der deutschsprachige „Roman des Jahres“ ausgezeichnet werden. Das ist so allgemein wie inhaltsleer. Demnach braucht das prämierte Werk nicht unbedingt literarisch zu überzeugen, sondern kann auch eines sein, über das viel diskutiert wird oder das politisch etwas hergibt.

Erstaunlicherweise haben bisherige Jurys dem Buchpreis ein gewisses Renommee verliehen, indem sie mit weitgehend klugen Entscheidungen gegen den oft geäußerten Vorbehalt gearbeitet haben, der Preis sei vor allem Marketing. Der Börsenverein, der den Preis auslobt, scheint die Auszeichnung sehr wohl in erster Linie für eine Werbemaßnahme zu halten: „Ziel des Preises ist es, über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch.“ Insofern sind sowohl die aktuelle Diskussion über die mangelnde Qualität der Auswahl als auch die Kritik an den kuriosen Erklärungen eines Jury-Mitglieds zunächst im Sinn des Preisstifters.

Die Frage ist nur, ob die Aufmerksamkeit schwindet, wenn der Preis irgendwann so wahrgenommen wird, wie die Buchhändlerin Hartlieb es sich wünscht: „Der Roman, der hier gekürt werden wird und danach hoffentlich in großen Mengen über den Ladentisch geht, soll für viele Leute lesbar sein und sie vielleicht sogar dazu animieren, öfter zum Buch zu greifen.“

Das ist natürlich Unsinn, weil nicht einmal der Börsenverein von seiner Jury verlangt, die Titel müssten leicht zu lesen und gut verkäuflich sein. Dennoch distanziert sich der Preisstifter auch auf Nachfrage keineswegs von solchen Äußerungen – wahrscheinlich um den Handel nicht zu verschrecken. Wer auch immer den Deutschen Buchpreis heute erhält, die Auszeichnung hat durch die vermeidbaren Debatten an Reputation verloren. So ist der Buchpreis bis auf Weiteres nicht mehr als Literaturpreis einzuordnen.

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