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„Vielfalt wird abgebildet“

Erzieherische Ambition wie im „Struwwelpeter“, das war gestern. Heutige Bilderbücher sollen Welten öffnen und Mut machen, stärken und unterhalten – nicht nur Kinder. Ein Bremer Institut widmet sich der Erforschung des Genres

„Tod und Krankheit“, „Abenteuer“, „Angst“, „Philosophieren“: Das sind nur einige der Themenbereiche, in die sich die vielen, meist dünnen, aber sehr bunten Bücher einordnen; Bücher, die „Ho Ruck!“, „Der Besuch vom kleinen Tod“ oder „Begel, der Egel“ als Titel tragen. „Die Bücher, die wir hier haben, sind Bücher, die Welten öffnen“, sagt Elisa Hollerweger, Leiterin des Bremer Instituts für Bilderbuchforschung (BIBF). Leser sind Erwachsene und Kinder – im günstigsten Fall gemeinsam: Bilderbücher lesen, das geht vielleicht am besten im Dialog.

Bücher mit Bildern haben eine lange Tradition. Der „Orbis sensualium pictus“ – „Die sichtbare Welt“ – vom Theologen Johann Amos Comenius etwa war schon im 17. Jahrhundert im Umlauf. „Aber das war eher ein Anschauungs- und Schulbuch – also ein Wort, ein Bild, und sehr religiös geprägt“, sagt Hollerweger, die Lektorin für Literaturdidaktik an der Universität Bremen ist. Zum dortigen Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften gehört auch das BIBF.

Auch der „Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1844 hat mit heutigen Erziehungserkenntnissen und -methoden wenig gemein. „Das Buch hatte die klare Erziehungsfunktion, Fehlverhalten und potenzielle Strafen aufzuzeigen“, sagt Hollerweger. „Ein sehr eingeschränkter Fokus.“ Heute sei der Schwerpunkt der Bücher „nicht mehr der mahnende Zeigefinger, sagt Mats Pieper. Der 22-Jährige studiert Grundschullehramt und ist am Institut für die Sichtung der Verlagskataloge zuständig. „Die Vielfalt der Welt wird abgebildet.“

Seit 2016 verleiht das Bremer Institut – zusammen mit dem Projekt „Vorlesen in Familien“ im hessischen Wetzlar – den „Huckepack“-Preis. Dotiert mit 1.000 Euro, soll er solche Bücher „in den Fokus rücken, die dazu beitragen, Kinder im Rahmen des Vorlesens seelisch und emotional zu stärken“. Das BIBF versteht sich auch als Hilfe und Angebot für Schulen und Kitas. So suchen sich etwa Studierende Bücher aus und gestalten mit Lehrern und Klassen Projekt­arbeiten.

Deutsche Bücher eher brav

Vielfalt ist auch für Constanze von Kitzing ein Thema. Die Kölner Illustratorin hat schon über 40 Bilderbücher gemacht. „Meist mit sehr starken Botschaften“, sagt sie selbst. Die 38-Jährige versucht in ihren Büchern Unterschiede als Selbstverständlichkeit im Alltag zu erzählen: „Im Prinzip sind alle Kinder auf ihre Art anders und einzigartig und das ist genau gut so.“ In Deutschland empfindet sie Kinderbücher oft als vergleichsweise vorsichtig, etwas brav und manchmal ängstlich. In Spanien oder Frankreich seien sie wilder und abstrakter: „Ich habe das Gefühl, dass wir Kinder fordern und ihnen was zutrauen können.“

Dass ein Bild mehr als 1.000 Worte sagt, ist ein Sprichwort, das für die ganz jungen Leser besonders zutrifft. In der Warengruppe Kinder- und Jugendbuch ist das Bilderbuch seit Jahren auf Wachstumskurs: Nach dem „Kinderbuch bis 11 Jahre“ hatte das Bilderbuch nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels 2018 mit 22,8 Prozent den zweitgrößten Umsatzanteil innerhalb der Gruppe.

Auch wenn sich das Gros an die Kleinen wendet, sind Bilder- nicht automatisch Kinderbücher. Das habe sich in den 1990er-Jahren so entwickelt und sich deutlich verändert, seitdem die Technik eine höhere Abbildungsqualität im Druck zu bezahlbaren Preisen ermögliche, sagt Sarah Wildeisen, Mitglied der Sonderpreisjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2019. „Seitdem gibt es immer mehr Bilderbücher, bei denen es eigentlich nicht so klar ist, ob sie ein festes Zielpublikum vor Augen haben.“

Bei der Frankfurter Buchmesse wird dieser Tage der Deutsche Jugendliteraturpreis in unterschiedlichen Sparten vergeben, auch für Bilderbücher. Zudem entscheidet die Jury des Sonderpreises „Neue Talente“ über eine eigene Auszeichnung für Illustratoren. Dem Bild komme in der Kinderliteratur eine wachsende Rolle zu, beobachtet Kunsthistorikern Wildeisen. „Aber das können wir eigentlich für die ganze Gesellschaft sagen.“

Helmut Reuter, dpa

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