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Stimmen der Welt

Das transnationale Literaturfestival globale° präsentiert eine Woche lang aktuelle Schriftsteller*innen, die nicht in ihrer Muttersprache arbeiten

Globale-Gesichter: Jaroslav Rudiš, Amina Bile, Sofia Nesrine Srour, Nancy Herz, Tomer Gardi und Radka Denemarková kommen zum Literatur-Festival Fotos: Rafał Komorowski/CC, Maria Gossé /Thienemann, Amrei Maré/CC und Metod Bočko/CC

Von Jan-Paul Koopmann

Bremen kann sich nicht nur für, sondern auch mit Saša Stanišić freuen. Der frische Buchpreisträger hatte die Verstrickungen von Literatur und Politik schließlich unmittelbar vor der anstehenden „globale°“ inmitten der öffentlichen Debatte platziert. Und dafür müsste ein „Festival für grenzüberschreitende Literatur“ schon dankbar sein, wenn er nicht auch noch selbst vor Ort wäre und aus aktuellem Anlass sicher ein bisschen Publikum extra anzieht.

Bei der globale° geht es darum, wie aus zahllosen Geschichten die Geschichte wird

Ansonsten setzt das 2007 gegründete Festival auf sein erfolgreiches Konzept und lädt aktuelle Schriftsteller*innen ein, die nicht in ihrer Muttersprache arbeiten. Es mag auf den ersten Blick hochspezialisiert klingen, den Fokus auf diese sehr besonderen Produktionsbedingungen zu legen. Nur öffnet sich das Programm gerade darüber ganz elegant der vollen Bandbreite unterschiedlichster migrantischer Lebenswelten: von eben einem Stanišić bis zum Trio aus Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz, die als junge feministische Musliminnen das Blog „Schamlosen Mädchen“ gegründet haben.

Für das Programm der aktuellen Festivalausgabe ist Viktorie Knotková verantwortlich, die sonst als Dramaturgin am Theater arbeitet. Dass es diesmal besonders politisch ausfällt, sei allerdings eher zufällig. Es liegt ja auch nahe, dass Autor*innen mit transnationalen Biographien im Schnitt einen politischer geprägten Erfahrungsschatz haben als andere.

Knotková erzählt, wie das Programm aus persönlichen Zugängen entsteht und über kontinuierliches Miteinander wächst. Wobei inhaltlich natürlich alles um Ideen von Identität kreist, oder wie Knotková sagt: darum, „wie aus Geschichten Geschichte wird“. Es geht jedenfalls nicht darum, den je aktuellen Hype abzufischen. Stanišić war auf Einladung von Festivalgründerin Libuše Černá etwa schon mehrfach Gast der globale°.

Auch die Künstler des heutigen Eröffnungsabends sind in Bremen wohlbekannt: Jaroslav Rudiš, der seinen Roman „Winterbergs letzte Reise“ vorstellt, war mit seinem Kafka-Band bereits mehrfach am Goetheplatz zu sehen, wo er Kafkas „Das Schloss“ und „Amerika“ vertonte. Den Abend wird Rudiš mit Aleš Šteger bestreiten, der im ehemaligen Jugoslawien geboren wurde und heute auf Slowenisch über die Erfahrung seiner Generation des Umbruchs schreibt. Überhaupt hat das Festival ein ausgesprochen junges Programm zu bieten.

Eine ausdrückliche Ausnahme davon ist die Hommage an das Lebenswerk der amerikanischen Dichterin Lisel Mueller, die taz-Redakteur Benno Schirrmeister mit Literturwissenschaftlerin Helga Grubitzsch sowie Musikerinnen und Schauspieler*innen des Bremer Theaters gestaltet hat. „Das passte einfach perfekt“, sagt Knotková, obwohl auf dem Festival eigentlich nur anwesende Autor*innen vorkommen. Muellers Flucht aus Nazideutschland sowie ihre Arbeit in und an der englischen Lyrik sind eben mustergültig für das grundsätzliche Programm der globale°, sowie für den diesjährigen Schwerpunkt: Transit.

Das Schwerpunktwochenende am Theater ist eine noch recht neue Einrichtung des Festivals. Allein an Samstag und Sonntag stehen 14 Termine mit Musik, Film und Texten in großer Breite auf dem Programm: Sachbücher wie Harald Jähners „Wolfszeit“ über die deutschen Nachkriegsjahre, aber auch Dilek Güngörs autobiographischer Roman „Ich bin Güngör“, der von den vermeintlichen kulturellen Identitäten erzählt, die ihr von außen zugeschrieben werden.

Es lohnt sich jedenfalls ein gründlicher Blick ins Programmheft. Das sei alles zu viel Interessantes gewesen, hätten Besucher*innen Viktorie Knotková im vergangenen Jahr gesagt – eine Kritik, die sie natürlich auch nicht ganz ungern hört.

Festival bis 28. 10., Programm: www.globale-literaturfestival.de

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