Wie viel Kohle bekommt Kenia?

In Brandenburg gehen Koalitions-verhandlungen von SPD, CDU und Grünen in die entscheidende Phase. Heute will Kenia fertig sein

Wo die dicken Schlote qualmen: Jänsch­walde, Lausitz Foto: Anja Lehmann/Ostkreuz

Von Uwe Rada

Bloß nicht ins Detail gehen, das ist derzeit die Devise bei den ­Koalitionsverhandlungen in Brandenburg. Vor allem dann nicht, wenn es um die strittigen Themen geht. „Ich werde, bevor wir die Details abgesegnet haben, dazu keine weitere Stellung nehmen“, sagte die grüne Verhandlungsführerin Ursula Nonnenmacher am Montagabend.

Zuvor hatte die große Verhandlungsrunde aus SPD, CDU und Grünen fast zwölf Stunden lang über die künftige Umwelt- und Agrarpolitik gestritten. Zwar war man sich einig, dass der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln halbiert werden soll. Strittig ist aber nach wie vor, ob der Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten generell verboten werden soll. Dagegen – und gegen eine entsprechende Volksinitiative – protestiert die organisierte Bauernschaft heftig.

Im Wahlkampf waren die Grünen angetreten, die ökologische Landwirtschaft in Brandenburg ausbauen zu wollen. Daran werden die grünen Verhandlungsleute in Potsdam am Ende von ihrer Basis gemessen werden.

Denn wenn die Koali­tions­verhandlungen wie geplant am heutigen Donnerstag abgeschlossen sein sollen, müssen die drei Parteien jeweils für sich noch grünes Licht geben. Bei den Grünen ist eine Urabstimmung vorgesehen. Die CDU befragt ihre Mitglieder und stimmt anschließend auf einem Parteitag ab. Bei den Sozialdemokraten und ihrem designierten alten und neuen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke entscheidet ein Landesparteitag.

Bei den Themen Agrar und Umwelt geht es dabei nicht nur um einen „Klimaplan“, den die neue Landesregierung umsetzen will. Längst wird hinter den Kulissen auch über die Verteilung der Ressorts gesprochen. Ein offenes Geheimnis ist, dass ein grünes Umwelt- und Landwirtschaftsministerium die Chancen auf ein positives Votum bei der Urabstimmung erhöht. Auch deshalb sind wohl die Pläne vom Tisch, das Ministerium aufzuteilen. Nonnenmacher spricht von weitgehender Einigkeit. Woidke sagte nach dem Verhandlungsmarathon am Montag: „Ich denke, dass wir einen guten Schritt vorangekommen sind.“

Nicht weniger kompliziert ist die Gemengelage für Michael Stübgen. Der CDU-Verhandlungschef ist nach dem Rücktritt von Ex-Spitzenkandidat Ingo Senftleben bislang nur kommissarischer Landesvorsitzender. Beim Parteitag im November würde er den Wegfall des Wörtchens „kommissarisch“ gerne von einer großen Mehrheit der Delegierten abgesegnet sehen. Sein Ergebnis wird auch davon abhängen, inwieweit er den konservativen Flügel der märkischen Union einbindet. Eine Kenia-Koalition hätte im neuen Landtag von Potsdam zwar eine Mehrheit von 5 Stimmen. Die ist aber dünn, weil dem konservativen und Grünen-skeptischen Flügel in der Landes-CDU allein 6 Stimmen zugerechnet werden.

So wie die Grünen auf das Umwelt- und Landwirtschaftsressort spekulieren, will CDU-Mann Stübgen mit dem Innenministerium punkten. Woidke soll bereits Zustimmung signalisiert haben. Völlig offen dagegen ist die Zahl der Ressorts für die Koalitionäre. Während die SPD 5 Ministerien für sich beansprucht und CDU und Grünen 3 beziehungsweise 2 zugestehen will, sollen die Grünen eine Aufteilung von 4 – 3 – 3 fordern.

Das Rangeln um Ressorts und Pestizide kann aber nicht davon ablenken, dass die große Runde der Verhandlerinnen und Verhandler, die seit Montag vergangener Woche die Empfehlungen der sieben Facharbeitsgruppen abarbeitet, bereits in vielen Punkten eine Einigung erzielt hat.

So sollen zum Beispiel alle Krankenhaus-Standorte im Land erhalten werden, 100 Millionen Euro sollen in die Gesundheitsversorgung investiert werden. Zudem soll der Mindestlohn bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auf 13 Euro die Stunde angehoben werden. Derzeit liegt der Vergabe-Mindestlohn in Brandenburg bei 10,50 Euro, bundesweit beträgt er 9,19 Euro. In Berlin soll er ab 2020 von derzeit 9 Euro auf 11,90 Euro steigen.

Auch im Bereich Inneres haben sich SPD, CDU und Grüne geeinigt. So wird die Zahl der Polizistinnen und Polizisten von derzeit 8.200 auf 8.500 erhöht. Die Grünen bekommen eine Polizei-Beschwerdestelle für Bürgerinnen sowie die Zusage, jährlich 200 Flüchtlinge aufzunehmen. Bei der Kennzeichnungspflicht für Polizisten soll es dagegen Ausnahmen geben.

Am Mittwoch tagten die drei Verhandler über einem der schwierigsten Themenkomplexe: Verkehr, Infrastruktur und Wirtschaft. Ein mögliches früheres Ende der Kohleverstromung in der Lausitz wird auch davon abhängen, wie viel Geld für den Strukturwandel zur Verfügung steht.

Generell steht hinter den neuen Ausgaben, die Rot-Schwarz-Grün in Brandenburg plant, noch ein dickes Fragezeichen. Schon 2020 könnte im Haushalt eine Finanzierungslücke von 700 Millionen Euro klaffen. Entscheidend wird deshalb die letzte Runde am heutigen Donnerstag sein. Dann werden die Finanzfachleute von SPD, CDU und Grünen ihre Daumen heben – oder senken.