Das Krankenhaus als Pflegeheim

Menschen in Pflegeheimen werden überdurchschnittlich oft ins Krankenhaus eingewiesen, das zeigt eine Bremer Studie. Die Folgen für PatientInnen und Kliniken sind gravierend

Im Zweifel rufen die Verantwortlichen in der Pflege lieber mal die 112 Foto: Jan Woitas/dpa

Von Lotta Drügemöller

Reinhard Leopold erinnert sich gut an den Krankenhausaufenthalt seines stark pflegebedürftigen und inkontinenten Vaters. „Man bat mich, seine Klamotten mitzunehmen – die lagen eingenässt und eingekotet im Spind, ohne Plastiktüte drumherum“, erinnert sich der Gründer der Bremer Selbsthilfeinitiative „Heim-Mitwirkung“. Wenn pflegebedürftige Menschen ins Krankenhaus kommen, ist das eine besondere Herausforderung – für die Pflegebedürftigen, die Angehörigen, aber auch das Klinikpersonal.

Umso gravierender sind die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Unis Oldenburg und Bremen (die taz berichtete): Demnach werden PflegeheimbewohnerInnen hierzulande überdurchschnittlich oft unnötigerweise ins Krankenhaus eingeliefert. Die ForscherInnen haben 14 Pflegeheime in Bremen und umzu zwölf Monate lang begleitet und dabei Pflegende, HausärztInnen und RettungssanitäterInnen befragt.

PflegedienstmitarbeiterInnen tragen für ihre KlientInnen Verantwortung – sie rufen, so die Studie, die 112 lieber einmal mehr als nötig. Auch der Disponent, der den Anruf entgegennimmt, haftet persönlich und wird im Zweifel für einen Krankenwagen entscheiden; die Rettungssanitäter wiederum fahren lieber nicht mit einem leeren Wagen zurück – eine Verantwortungsstruktur greift in die nächste.

Pflegewissenschaftlerin Ricarda Möller vom Verein Ambulante Versorgungsbrücke Bremen, die lange im Krankenhaus gearbeitet hat, bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel: „Die Heime sind einfach überfordert mit kranken Klienten“, sagt sie. „Der Pflegeschlüssel von 1 zu 40 in der Nacht ist immer noch viel zu schlecht. Auch die beste Ausbildung kann dann nichts gegen eine Unterversorgung ausrichten.“ Die alten Menschen kämen ins Krankenhaus, würden dort ein paar Tage aufgepäppelt und gingen zurück in ihre Heime.

Besonders an Wochenenden und vor Feiertagen stiege die Einweisungsrate, so Götz Herold, Chefarzt der Notaufnahme am Klinikum Links der Weser. Auch Leopold ist davon überzeugt: „Dann sind die Heime personell besonders unterbesetzt“, erklärt er. „Wer aufgrund einer Krankheit schwer zu handlen ist, kommt eher mal ins Krankenhaus – obwohl das dann gerade auch Personalnot hat.“ Die Studie bestätigt das nicht: „Die Quote ist nach unseren Erkenntnissen zu allen Tages- und Wochenzeiten hoch“, so Guido Schmiemann, Versorgungswissenschaftler und Autor der Studie.

Krankenhausaufenthalte schaden Pflegeheimbewohnern tendenziell mehr als anderen. Infektionen mit Krankenhauskeimen sind für alte Personen gefährlicher. Und für Demenzkranke „kann der Transfer aus der gewohnten Umgebung ganz viele Nebenwirkungen haben“, so Schmiemann.

Problematisch ist auch, dass ältere PatientInnen oft länger in der Klinik bleiben. „Wenn man bei alten Leuten genau hinschaut, findet man meist was“, so Chefarzt Herold. „Das ist eine Bredouille: Natürlich will man abklären, was jemand hat; aber für die Menschen ist es oft schrecklich, so lange in der Klinik zu bleiben.“

„Wenn man bei alten Leuten genau hinschaut, findet man was“

Götz Herold, Notarzt Klinikum LdW

Dazu kommt: Für die Krankenhäuser sind die vielen PatientInnen mit hohem Pflegebedarf nicht unproblematisch. Pflegewissenschaftlerin Möller betont zwar, dass Kliniken mittlerweile gut einschätzen können, was Demenzkranke brauchen: „Das Syndrom ist alltäglich geworden.“ Doch wegen des Pflegemangels sei es schwierig, alle Maßnahmen umzusetzen. „Es ist hochaufwendig, wenn Patienten dement und mobil sind“, bestätigt Herold.

Um die hohen Einweisungsraten in Zukunft zu verhindern, entwickelt man in der Studie Handlungsvorschläge – etwa feste Standards für Heime, nach denen immer zunächst die Hausarztpraxen oder der Ärztliche Notdienst angesprochen werden. „Das passiert in den seltensten Fällen“, so Schmiemann. Die meisten an der Studie beteiligten Heime hätten positiv auf die Anregung reagiert. „Die haben von sich aus noch Stationen einbezogen, die wir für unsere Forschung gar nicht auf dem Zettel hatten.“

Auch von einer Gesetzesänderung erhofft sich Schmiemann Fortschritte: Wenn nach Plan von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bald die Notrufnummern 112 und 116117 zusammengelegt werden, soll schon telefonisch abgeklärt werden, ob ein Rettungswagen überhaupt kommen muss – oder ob ein Notarzt reicht.