Es war angerichtet

Einhundert Menüs aus drei Jahrtausenden: „Wohl bekam's“ ist ein Stück Zeitgeschichte

2. April 1977, Berlin: Fidel Castro auf Staatsbesuch in der DDR Foto: Gestaltung der Menükarten: 2xGoldstein+Schöfer

Mrs. Obamas letzte Ernte wurde am 18. Oktober 2016 serviert. Beim Staatsbankett des scheidenden US-Präsidenten kam sie in Form von „Canapés mit frischen Zutaten aus dem Küchengarten des Weißen Hauses“ auf den Tisch. Begleitend dazu sang Gwen Stefani.

25. Dezember 1850, Barrow Strait: Das Weihnachtsmenü an Bord des britischen Arktis-Expeditionsschiffs „Resolute“

Dieses Wissen entnehmen wir der Menükarte dieses Abends. Es ist eines von einhundert Menüs aus drei Jahrtausenden, die Tobias Roth und Moritz Rauchhaus zusammengesucht, mit kurzen Begleittexten versehen und in Buchform unter dem Titel „Wohl bekam’s!“ herausgegeben haben (Verlag Das Kulturelle Gedächtnis). Und so profan Barack Obamas letztes State Dinner auch erscheinen mag: Es ist ein Stück Zeitgeschichte. Denn was gegessen wird und wie es präsentiert wird, verrät viel über Moral, Ökonomie und soziale Umstände zum Zeitpunkt des Verzehrs. Entsprechend ist „Wohl bekam’s!“ gleichermaßen ein Gerichts- wie ein Geschichtsbuch – eines aus stark europäischer und weißer Perspektive zugegebenermaßen, was zu guten Teilen, aber nicht ausschließlich, in der Quellenlage begründet ist.

Viele der vorgestellten Menüs werden von Herrschenden verspeist, erst von Adligen, dann von Politikern. Es sind Speisenfolgen, die faszinieren und eventuell auch etwas ekeln ob ihrer Opulenz und Verschwendungssucht – vor allem in früheren Zeiten, als Essen noch à la française serviert wurde, also alle Speisen gleichzeitig auf den Tisch kamen. Die orchestrierte Abfolge einzelner Gänge, Service à la russe genannt, setzte sich erst im Laufe des 19. Jahrhundert in Europa durch.

21. November 1668, Castelnovo: Willkommensbankett für Kristina von Schweden (drei von insgesamt 15 Seiten)

Aber Roth und Rauchhaus haben auch bürgerliche Mahlzeiten in ihre Sammlung aufgenommen. Ein Frühstück bei Goethe im April 1798 etwa. Ein Essen französischer Kriegsgefangener im Ersten Weltkrieg. Den Mitternachtssnack, den Elvis 1965 den Beatles servierte. Das erste Essen Juri Gagarins im Weltall – das im Buch mit dem in wohl eher deprimierter Stimmung eingenommenen Mittagsmenü im Weißen Haus am gleichen Tag kontrastiert wird. Überhaupt Verkehrsmittel: Auch die Speisekarten vom ersten Concordeflug, aus dem Orient-Express und vom letzten Tag der „Titanic“ finden sich. Oder Skurrilitäten wie ein „futuristisches Mittagessen“ im März 1931 in Turin, wo „Intuitive Vorspeisen“ und „Urhuhn gefüllt mit Kugellagern“ serviert wurden.

Man kann sich herrlich verlieren zwischen all diesen Speisen. „Wohl bekam’s!“ ist ein Buch zum Staunen. Und zum Genießen. Michael Brake