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Fabrikation für alle

In öffentlich zugänglichen Wertstätten kann jeder die neue 3-D-Druck-Technologie erlernen und eigene Ideen verwirklichen. Ein Besuch im Open Lab der Helmut-Schmidt-Uni in Hamburg-Jenfeld

Die Teilnehmer im Kurs der Helmut-Schmidt- Universität beobachten den Druck ihrer Schlüssel­anhänger Foto: Hannes Vater

Von Hannes Vater

Eine junge Frau schaut sich das Hauptgebäude der Universität von allen Seiten an. Dann von oben und unten. Sie wiegt es in der Hand und gibt es dem Nachbarn. „Wir drucken heute einen Schlüsselanhänger“, sagt der Kursleiter und bittet die Teilnehmer, die Laptops einzuschalten.

An einem Mittwochnachmittag haben neun 3-D-Druck-Interessierte und Kursleiter Anton Reif in einem kleinen Lehrsaal der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) im Hamburger Stadtteil Jenfeld zusammengefunden. Sie sitzen an Tischen in U-Formation vor Laptops und verfolgen die Einweisung an der digitalen Tafel. Darunter steht ein meterhoher orangener Eifelturm. „Der hat fünf oder sieben Tage gedauert“, sagt Anton Reif. Er ist noch Student und trägt ein schwarzes Shirt, auf dem „LaFT“ steht. Die Abkürzung für Laboratorium Fertigungstechnik, dem Zweig der Uni, der vor drei Jahren das Open Lab, die offene Werkstatt, ins Leben rief.

Anton Reif reicht einen kleineren Eifelturm durch die Reihe, erzählt, mit welchem Material meistens gearbeitet wird und wie Stützstrukturen aussehen können. Weil beim 3-D-Druck jede Schicht auf einer anderen aufbauen muss, sind viele Strukturen denkbar. Ein halbes Nilpferd wird herumgereicht. Die Stützstrukturen sind deutlich zu erkennen. Auch eine flexible, weiche Schuheinlage und eine stabile Armschiene machen die Runde. Der Kurs arbeitet heute mit „Autodesk-Fusion 360“, einem Programm zur Gestaltung, Konstruktion und Zusammenarbeit beim 3-D-Druck. Reif erklärt die Schritte und hilft, bis ihm alle folgen können.

Die Teilnehmer bewegen sich jetzt im dreidimensionalen Raum auf ihren Laptops. Stück für Stück zeichnen sie die Grundfläche, markieren die Maße des Schlüsselanhängers und des Schlüsselringlochs. Jeder schreibt einen kleinen Text oder ein Wort auf seinen Anhänger. Manche runden die Kanten ab. Raucherpause. Reif geht rum, schaut, dass alle so weit sind, und verteilt Speicherkarten, die später in die Drucker gesteckt werden.

„Mit dem Programm kann das jeder zu Hause machen und üben“, sagt er. „Das ist ganz einfach, wenn man die Praxis hat.“ Die Teilnehmer verteilen sich an den Druckern, reinigen ihre Platten mit Ethanol und starten den Druck. Es beginnt zu surren. „Die heizen jetzt auf, und wenn sie heiß sind, legen sie die erste Schicht.“

Auf dem Flur hängt ein englischsprachiges Plakat mit den Herausforderungen und übergeordneten Zielen der Open Labs: asymmetrische Wissens- und Informationsverteilung zwischen Produzenten und Verbrauchern sowie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern überwinden. Gewissenhafterer Umgang mit fossilen Ressourcen. Wirtschaftliche Abhängigkeiten überwinden. Die Entwicklung angemessener Technologien. Wertschöpfung demokratisieren. Wissen auf regionaler und globaler Ebene teilen.

Open Labs, offene Hightech-Werkstätten oder auch Fabrication Laboratories, kurz Fab Labs, gibt es in Deutschland schon über fünfzig Mal. Drei davon sind in Hamburg. Neben diesem Labor hier und dem in der Technischen Universität in Harburg hat vor Kurzem eines in St. Pauli eröffnet, getragen von einem Verein.

In den Werkstätten wird der Allgemeinheit Zugang zu digitalen Fertigungstechnologien ermöglicht. Man kann hier nicht nur eine Menge lernen und 3-D-drucken, sondern auch fräsen, bohren, lasercutten, löten oder drechseln, wenn man will. Der Materialauswahl und den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.

Charleen aus Uetersen ist heute wegen ihres Hobbys hier. Dem Motorsport. „Wir haben einen Sportwagen zu Hause, den wir auch auf der Rennstrecke bewegen, und dafür brauch man ab und zu mal eigene oder abgewandelte Teile, die optimiert sind.“ Viele dieser Teile sind für sie nicht im Handel erhältlich. Einscannen, digitales Optimieren und 3-D-Drucken sind naheliegender. „Das ist dann günstiger und einfacher umsetzbar“, sagt sie.

Die gängigsten 3-D-Druck-Materialien sind Polylactide, synthetische Polymere, die zu den Polyestern gehören. Durch Wärmezufuhr werden sie formbar. Die Materialien lassen sich mit anderen Partikeln mischen, wodurch viele Kombinationen und Imitate möglich werden. 3-D-Gedrucktes sieht dann nicht mehr wie Plastik aus, sondern zum Beispiel wie Messing oder Holz.

„Gerade das Holz-Filament ist beeindruckend. Das sieht aus und riecht wie Holz“, sagt Kursleiter Reif. Ein scheinbar hölzerner Pinguin geht durch die Reihe. Er riecht nach Holz, fühlt sich auch so an, aber kommt aus dem 3-D-Drucker.

Charleen aus Uetersen kommt in die Werkstatt, um Ersatzteile für ihr Auto zu drucken

Ein Teilnehmer bleibt davon unbeeindruckt: Telha, 14, von der Goethe-Schule in Harburg. Er ist Praktikant des Labors. Vor ein paar Jahren ist er mit seinen Eltern aus der Türkei nach Hamburg gezogen. Medien und IT sind die Schwerpunkte seiner Profilklasse. Nach 16 Absagen bekam er die Zusage des Fertigungstechnik-Labors der HSU. Er sitzt mit allen anderen in der Reihe, bastelt heute aber keinen Schlüsselanhänger, sondern eine Halterung für die Kopfhörer und Controller seiner Spielekonsole. „Man kann machen, was man will“, sagt er. „Ich finde, jeder sollte die Option haben, hier herzukommen und mit den Druckern zu arbeiten.“

Charleen braucht so oft Teile für Ihren Sportwagen, dass sie sich bald einen 3-D-Drucker für den Privatgebrauch zulegen will. Im Open Lab habe sie heute ihre Berührungsängste verloren. „Man macht sich im Vorweg zu viele Gedanken“, sagt sie. Dabei sei die Technologie recht trivial. „Wenn man diese grundlegenden Dinge gesehen hat, kann man darauf aufbauen.“

Kurse wie dieser finden an der HSU einmal im Monat statt. Jeden Dienstag können Interessierte zum Open Lab kommen und nach einer kurzen Einführung selbst mit den Geräten arbeiten. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch GründerInnen und ErfinderInnen sollen ermutigt werden, im Open Lab ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und Prototypen zu entwickeln.

Telha hatte während seines Praktikums schon viele Ideen: ein Labyrinth, einen Würfel mit Zahnrädern, der sich um seine eigene Achse dreht und verschiedene Formen einnehmen kann oder Knipsplatten, die sich wie Lego aneinander stecken und gestalten lassen, unter anderem. Morgen druckt er seinen Konsolenzubehör-Halter.

Nach der Schule will Telha im IT- oder Chemiebereich studieren. „Je nachdem, was mir besser liegt.“ Und vielleicht Spiele programmieren oder in Chemielaboren forschen.