: Hamburger Wirklichkeit
Vergnügliche Künstlertypen und ein Film über den Kolonialismus, der nicht in naheliegende Fallen gehen will: Zwei bemerkenswerte Dokumentarfilme von Hamburger Machern feiern beim dortigen Filmfest Premiere
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Von Wilfried Hippen
Ein Endzeit-Drama als Hauptattraktion: Peter Fleischmanns „Die Hamburger Krankheit“ aus dem Jahr 1979 ist jetzt, aufwendig restauriert, beim ebendortigen Filmfest zu sehen – am Sonntagnachmittag und in Anwesenheit des Regisseurs. Aber es gibt weiteres Sehenswertes in der Programmsektion „Hamburger Filmschau“, darunter zwei stilistisch ungewöhnliche Dokumentationen: ein Künstlerporträt, einen Essayfilm.
Peter Sempel, locker Hamburgs letzter amtierender Undergroundfilmemacher, zeigt da ein weiteres seiner typischen Künstler*innenporträts: „Dieter Meier – Ein Zufall“ (Sa, 21.45 Uhr, Metropolis). Sempel macht ja am liebsten Filme über Menschen, mit denen er auch befreundet ist: Blixa Bargeld etwa, Nina Hagen, der Jazzer Peter Brötzmann und – gleich zweimal – seine künstlerische Vaterfigur Jonas Mekas, der Heilige des amerikanischen Undergroundfilms. Ihnen widmete Sempel wilde Experimentalfilme.
So wie nun eben Dieter Meier, Konzeptkünstler, lange Jahre Sänger des Elektropopduos „Yello“, Rinderzüchter, Winzer und manchen dortigen Medien zufolge einer der 300 reichsten Schweizer. Seit den späten 80er-Jahren gehört er zu Sempels Freundeskreis: Er war 1988 bereits einmal als Darsteller an Sempels „Dandy“ beteiligt, und „Lemmy“ – Sempels Film über den Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister – produzierte er dann sogar.
Als manischer Bildersammler hat Sempel seit 1987 immer wieder Filmaufnahmen von Meier gemacht. Ob der nun ein Konzert in Hamburg gab, eine Ausstellung eröffnete oder sonst wie in Erscheinung trat: Sempel war mit der Kamera dabei. Er hat ihn dann auch in Zürich und Berlin besucht, weitere Aufnahmen entstanden etwa in Marokko und Indien. Er hat teils Material aus früheren eigenen Arbeiten wiederverwendet, anderes entstand, als Sempel mit einer kleinen Digitalkamera im Konzertpublikum untertauchte; die Bild- und vor allem Tonqualität sind bei so was natürlich kaum besser als bei den Tausenden von Handyaufnahmen, die Fans heutzutage machen – aber dieser Stil entspricht eben Sempels Methode. Auch mit seinem fröhlich chaotischen Schnitt ist er ganz der Alte: Warum da als eine Art Leitmotiv immer wieder das Bild einer in einem Teich schwimmenden Ente auftaucht? Schwer zu ergründen.
Viel wichtiger ist, dass Sempel Meier über die Jahrzehnte sehr nahe gekommen ist. Und dass diese Hauptfigur ein begnadeter Performer – und Klugschwätzer – ist: Die Sequenzen, in denen Menschen wie der NDR-Moderator Peter Urban lobende Sätze loswerden, sind im Grunde überflüssig: Meier lässt als gleichermaßen witziger wie kluger Selbstdarsteller kaum ein Thema aus.
Ob er nun über das Nichts philosophiert, über das Golfspielen als einzigen ernstzunehmenden Beitrag des Westens zum Zen-Buddhismus oder – bei einer Weinflaschen-Signierstunde – mit ihn anhimmelnden Damen aus der feinen Gesellschaft plaudert: Dieter Meier spielt immer perfekt, aber zugleich mit ironischer Distanz die Rolle Dieter Meiers.
Mit einem ähnlichen Sinn für das Absurde gesegnet, ergänzt Sempel sich ideal mit ihm. Man achte etwa auf die alte Kaffeekanne, mit der Meier im Laufe der Jahrzehnte einmal die Stadtmauer von Marrakesch besprüht, Weinranken in Berlin begießt und schließlich Wasser aus dem Ganges schöpft, um es an der Quelle des Flusses im Himalaja wieder auszuschütten. Diese beiden Männer haben Spaß miteinander, und das spürt man bei diesem Film.
Anders funktioniert die zweite Empfehlung aus dem diesjährigen „Filmschau“-Programm: Kann ein Film dem eigenen Macher widersprechen – also im Grunde sich selbst? Daran versucht sich Daniel Kulle in seinem Essayfilm „Das Kolonialinstitut“ (Sa, 15 Uhr, Metropolis), der sich mit dem problematischen Erbe einer Stadt wie Hamburg befasst, wo etwa die Universität bis in die 1960er-Jahre hinein als „Kolonialuniversität“ bezeichnet wurde. Ein komplexes, auch widersprüchliches Thema – und zu dieser Komplexität gehört auch, dass hier nun ein weißer Filmemacher aus Hamburg es angeht.
Eine Gegenposition hat Kulle mit einer weiblichen Erzählstimme eingebaut; sie stellt Bilder und Vorgehensweise immer wieder in Frage – auch wenn man diesen Kunstgriff bald durchschaut hat, ist er doch ein originelles, ein geistreiches Konzept. „Der Filmemacher“ sei „naiv“ und „verwirrt“, sagt also diese Stimme – aber eben diese Texte hat natürlich Kulle selbst verfasst. Er will darauf hinweisen, dass die vielen Fotos, Zeichnungen, Schriften und – aufgespießten – Käfer, die er in einschlägigen Hamburger Sammlungen gefunden hat, etwa im Medizinhistorischen Museum, immer auch die Ideologie der damals Sammelnden vermitteln. Sein Film ist ein intelligenter Versuch, diese Widersprüche wenn nicht zu lösen, so doch deutlich zu machen.
Manchmal verweigert er dafür sogar Bilder, etwa im Fall jenes Herero, umgebracht durch deutsche Truppen im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia: Der Schädel dieses Mannes lag in einer Sammlung in Hamburg, bis er vor Kurzem erst zurückgegeben wurde. Der Film nun erzählt zwar von ihm, und das nicht wenig, aber er zeigt ihn nicht – weil dies im Grunde nur eine weitere Besitznahme wäre.
Überhaupt versucht Kulle das historische Material so zu präsentieren, dass es mit einem anderen als dem ursprünglich intendierten, also kolonialen Blick gesehen werden kann. Und er erzählt Geschichten wie die des kamerunischen Sprachforschers Paul Messi, der 1914 nach Hamburg reiste, um dort wissenschaftlich zu arbeiten, aber nach Beginn des Ersten Weltkriegs ohne Arbeit in der Hansestadt strandete. Als weitere „Gegenmittel“ zur alles durchdringenden (post)kolonialen Sichtweise lässt Kulle dann noch eine Künstlerin und einen Perfomancekünstler aus Namibia zu Wort kommen – so viel wie sonst nur noch die erwähnte Widerrednerin.
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