DFB-Präsidiumsmitglied über Missbrauch: „Wir sind auf einem guten Weg“

Der Kinderschutzbeauftragte Stefan Osnabrügge sieht den DFB im Kampf gegen sexualisierte Gewalt besser aufgestellt als andere Institutionen.

Eine verlassene Umkleidekabine

„Wir sind nicht verantwortlich für das, was in 25.000 Vereinen passiert“, sagt Osnabrügge Foto: imago images / Michael Kristen

taz: Herr Osnabrügge, eine Studie der Universität Ulm kommt zu der Einschätzung, dass es im Sport etwa doppelt so viele Fälle von sexuellem Missbrauch gibt wie in der katholischen Kirche. Dabei wird diese viel mehr als Problem­institution wahrgenommen als der Sport. Wie erklären Sie sich das Missverhältnis?

Stephan Osnabrügge: Der Fußball ist eine Sportart von vielen. Bei der Anzahl bekannter Missbrauchsfälle bestehen unter den Sportarten gravierende Unterschiede. Der DFB jedenfalls beschäftigt sich schon seit 2010 mit der Prävention sexualisierter Gewalt. Und auch das möchte ich zu Beginn unseres Gesprächs festhalten: Der Bereich sexueller Missbrauch ist der harte, strafbare Kern und lediglich ein kleiner Ausschnitt.

Wir gehen erheblich weiter und haben jegliches sexualisierte Verhalten, jede Grenzverletzung im Blick. Priorität hat die Prävention. Seit 2013 sind wir hierfür mit unseren Landesverbänden auf Basis eines Zehnpunkteplans in einem engen Austausch. Beim DFB selbst haben wir eine Personalstelle für den Kinderschutz geschaffen. Da sind wir schon erheblich weiter als andere. Wir haben uns des Themas früher und intensiver angenommen.

War denn der Anstoß, sich 2010 damit zu befassen, nicht auch die Aufdeckung des jahrzehntelangen systematischen sexuellen Missbrauchs im katholischen Berliner Canisius-Kolleg, die eine große öffentliche Debatte nach sich zog?

Ich war 2010 noch nicht beim DFB im Amt, sondern Vizepräsident im Landesverband Mittelrhein. Dort haben wir uns schon 2007 damit befasst, zu einer Zeit also, als es noch keine große öffentliche Debatte gab.

Was war Ihre Motivation?

Mein Anstoß damals war ein Gespräch mit einem befreundeten Kriminalbeamten, der mir berichtete, dass er in einem Verfahren wegen kinderpornografischen Materials gegen einen Betreuer einer Jugendmannschaft außerhalb seiner sportlichen Tätigkeit ermittle. Ich habe damals schon gesagt, das ist ja völlig inakzeptabel. Wie kann es denn sein, dass ihr schon seit Jahren in einer Angelegenheit ermittelt, die den Kinderschutz betrifft, und gleichzeitig trainiert dieser Mann in einem Fußballverein eine Jugendmannschaft?

Stephan Osnabrügge, 48, Fachanwalt für Arbeitsrecht, seit April 2016 DFB-Schatzmeister. Im Verband Mittelrhein befasst er sich seit 2007 mit dem Thema Kinderschutz.

Wie lautete die Antwort?

Wir dürfen euch ja nichts sagen. Das war damals für mich der Anlass, innerhalb des Verbandes Strukturen aufzubauen, Anlaufstellen zu schaffen. Sobald ein Verband eine Anlaufstelle eingerichtet hat, melden sich dort auch Betroffene oder zumindest Menschen, die verunsichert sind, die um Rat bitten. Pro Woche hatten wir damals an Mittelrhein ein bis zwei Anfragen.

Ein Grund, warum es eine Scheu gibt, solche Angebote zu schaffen?

Nein, der Grund ist die fürchterliche Angst in dem Moment, wo man etwas macht, in den Verdacht zu geraten, dass man als Verein scheinbar ein Problem hat. Wir als Verband machen seit Jahren nach außen klar, dass diese Sichtweise verantwortungslos ist. Der Verband, der Verein, der Trainer, der sich mit Kinderschutz befasst, bringt Qualität zum Ausdruck. Ein kluger Kinderschutz inklusive fester Ansprechperson, des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses und klarer Verhaltensregeln für Trainer ist das Qualitätsmerkmal eines gut geführten Vereins.

Die Forschungsprojekt Safe Sport von der Sporthochschule Köln sieht die Spitzenverbände im Vergleich zu den Landessportbünden nicht so gut aufgestellt.

Nehmen Sie mich bitte nicht in Haftung für global ausgerichtete Studien, die nicht auf einzelne Verbände schauen. Wir beschäftigen uns seit 2013 äußerst intensiv mit dem Thema, haben einen Zehnpunkteplan entwickelt und eine Broschüre am Markt, die sich mit dem Thema befasst. Wir führen zwei Fachtagungen pro Jahr mit unseren Landesverbänden durch. Und beachten Sie bitte, wir sind ein Dachverband. Wir sind nicht verantwortlich für das, was in 25.000 Vereinen passiert. Der DFB hat doch kein Durchgriffsrecht auf den einzelnen Fußballverein.

Es hätte aber in der Macht des DFB gelegen, der Bitte von Johannes Rörig, dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, zu entsprechen, einen Nationalspieler als Botschafter zu benennen, um für das Thema zu sensibilisieren. Warum hat der DFB darauf vor über zwei Jahren nicht reagiert?

Ich habe von Anfang an mit Herrn Rörig ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Er kam irgendwann auf die Idee, es wäre doch gut, wenn man Prominente sich mit dem Thema Kinderschutz identifizieren lassen könnte, und hatte auch konkrete Vorstellungen zur zeitlichen Belastung.

Zu hohe Vorstellungen?

Zunächst mal haben sich ja aktuelle Nationalspielerinnen und -spieler zu diesem Thema engagiert. Aber oft gilt eben: Wenn Sie einem Nationalspieler, der bei einem Champions-League-Klub spielt und auch sonst jedes Wochenende zum Stamm gehört, sagen: Beteilige dich mal an der Kampagne, du hast fünf Auftritte im Jahr und musst dazu irgendwo hinfahren – dann wird das Management dieses Spielers Ihnen sagen: Erstens möchten wir nicht mit dem Thema Kinderschutz in Verbindung gebracht werden, weil das gefährlich sein könnte, und zweitens können wir dieses zeitliche Kontingent nicht anbieten.

Warum gefährlich sein könnte?

Das ist dasselbe, was Ihnen die Vereine rückmelden. In dem Moment, wo das Thema sexuelle Gewalt mit dem Namen eines Vereins oder einer Person assoziiert wird, gehen einige Medien hin und setzen dies so zusammen, dass es interpretationsfähig ist. Und es gibt doch auch im alltäglichen Leben diesen Gedankengang: Na, der engagiert sich, da hat er wohl selbst ein Problem. Nicht alle gehen seriös mit dem Thema um. Herr Rörig hatte sich überdies nicht nur an den DFB gewandt, sondern auch an den DOSB. Zwischen beiden wurden Konzepte ausgetauscht.

Ist der DFB in dieser Frage selbst initiativ geworden?

Wir haben uns kürzlich dem Aufruf der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs angeschlossen, dass sich Opfer melden sollen. Mehrere unserer Nationalspielerinnen und Spieler haben via Facebook Statements abgegeben und dafür geworben.

Sie sprechen unter anderem die Einspieler von Toni Kroos und Joshua Kimmich an. Mein Eindruck ist, sie wurden weder medial noch in den sozialen Netzwerken sonderlich wahrgenommen.

Es ist nicht an mir, Medienschelte zu betreiben. Ich glaube, dass leider zu viele positive Projekte, die der DFB verantwortet, unter dem Radar laufen. Möglicherweise deshalb, weil sich negative Schlagzeilen besser verkaufen. Über unsere eigenen Social-Media-Kanäle mit mehr als 6 Millionen Abonnenten haben wir jedenfalls viele Menschen erreicht und auch inhaltlich Zustimmung erfahren.

Aber das ist doch nicht allein die Schuld der Medien. Der DFB könnte dem Thema eine Bühne geben, eine Pressekonferenz mit Kroos und Kimmich veranstalten.

Das könnten wir bestimmt, aber die Frage ist, ob ich mit einer Pressekonferenz dem Thema Kinderschutz in irgendeiner Weise weiterhelfe. Meiner Ansicht nach ist das nicht so.

Sie könnten eine Bewusstseinserweiterung für das Thema schaffen. Die Studie Safe Sport hat festgestellt, in den Dachverbänden wird manches getan, an der Basis dagegen ist das Bewusstsein für die Gefahren sexuellen Missbrauchs gering ausgebildet.

Studien sind eine Sache, konkrete Erfahrungen manchmal eine andere. Wir haben schon den Eindruck, dass sich Bewusstsein verändert. Der Verein auf unserem Poster „Kinderschutz“, Victoria Hamburg, leistet beim Kinderschutz eine hervorragende Arbeit. Strukturell sind wir als DFB nicht dafür verantwortlich, was in 25.000 Vereinen passiert. Wir können nur Angebote schaffen und dafür werben.

Wie könnte dem Kinderschutz beim DFB weitergeholfen werden?

Warum schafft es dieser Staat nicht, Positivbescheinigungen über die Einwohnermeldeämter an die Vereine zu geben? Warum ruft der Staat nach Kinderschutz, schafft es aber nicht, 25.000 Abnehmern an der Basis mit 7 Millionen Menschen das Leben zu erleichtern. Warum schaffen wir es nicht, in irgendeiner Weise einen Informationsaustausch hinzubekommen?

Was meinen Sie konkret?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wie gehen wir mit dem Umstand um, dass Polizisten über lange Zeiträume ermitteln? Ich kenne einen Fall, da wurde zwei Jahre ermittelt und da ging es tatsächlich um sexuelle Nötigung und sexuellen Missbrauch. Wie kann es denn sein, dass die zwei Jahre ermitteln und ein Trainer munter weiter in seinem Verein E-Jugendliche trainiert, schlicht weil der Verein es nicht weiß. Finden wir in diesem hochmodernen Staat keine Instrumente, mit denen der Schutz der Kinder über den Persönlichkeitsschutz gestellt wird?

Einige im Sport sind aktiv in der Prävention geworden. Viel passiver ist man aber bei der Aufarbeitung begangenen Unrechts. Dabei wäre das ein gutes Fundament für gute Präventionskonzepte.

Wir fußen unsere Präventionskonzepte bewusst auf Gutachten wie das der Sporthochschule Köln, auch auf Vorfälle, die wir aus den Verbänden kennen. Wir unterstützen die Arbeit von Professorin Sabine Andresen, der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Unsere Anlaufstellen haben wir von Anfang an nicht auf aktuelle Vorkommnisse beschränkt. Über den Deutschen Kinderschutzbund, einen DFB-Kooperationspartner, können sich alle melden, die Erlebnisse in der Vergangenheit hatten, über die sie berichten möchten.

Der DFB hat diese Scheu nicht?

In einem Gespräch habe ich kürzlich Frau Andresen gebeten: Helfen sie uns, wenn Sie der Meinung sind, dass unsere Aktivitäten nicht ausreichen, um hinreichend zu motivieren, sich an uns zu wenden. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie zu dieser Erkenntnis gekommen ist. Insofern bin ich überzeugt davon, dass wir stark beraten und informieren. Die Frage, ob wir noch mehr machen könnten, bin ich immer bereit neu zu besprechen. Aber wir sind auf einem guten Weg.

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