heute in hamburg: „Zusehen, wie Menschen sterben“
Vortrag und Diskussion: „Noch nicht komplett im Knast: Seenotrettung und Kriminalisierung“ mit Kapitän Dariush Beigui: 20 Uhr, Semtex, Hopfenstraße 34
Interview Carlotta Kurth
taz: Herr Beigui, Sie haben viel gesehen bei der Seenotrettung, wie gut schlafen Sie?
Dariush Beigui: Das Gesehene beschäftigt mich natürlich viel, das stimmt. Was mir aber noch viel mehr schlaflose Nächte bereitet, ist der Umstand, dass wir mit dem Schiff „Iuventa“ nicht rausfahren dürfen, weil eine Klage gegen uns läuft. Jeden Tag muss ich auf Twitter und in den Nachrichten lesen, dass wieder Boote in Seenot sind. Gerade muss ich tatenlos zusehen, wie jeden Tag Menschen sterben.
Worum geht es bei der Klage?
Von Juli 2016 bis August 2017 war die „Iuventa“ auf 16 Missionen und hat um die 14.000 Menschen aus Seenot gerettet. Dann wurde das Schiff in Italien beschlagnahmt und gegen mich sowie neun weitere Crew-Mitglieder Ermittlungen aufgenommen. Der Vorwurf lautet Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Die Höchststrafe liegt bei 20 Jahren Gefängnis.
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass das Verfahren eingestellt wird?
Nein, dafür hasst uns Salvini zu sehr. Ich glaube, für ihn persönlich ist es ein sehr großer Erfolg, wenn es vor dem Wahlkampf zu einem Prozess gegen uns kommt. Das würde ihm viele Wählerstimmen bringen. Aber ich hoffe natürlich, dass das Verfahren eingestellt wird. Die Ungewissheit ist zermürbend.
Beruflich sind Sie Binnenschifffahrer, warum haben Sie sich entschieden, auf Rettung zu gehen?
Ich bin aufgewachsen als linker aktiver und politischer Mensch, deshalb war es selbstverständlich, dass ich irgendwann auf so ein Boot steigen werde. Ich wusste, dass die Sachen, die ich kann, gebraucht werden. Insgesamt war ich auf fünf Missionen.
Sollte Seenotrettung rein staatlich organisiert werden statt von den NGOs?
Natürlich fände ich es toller, wenn das Leute machen würden, die dafür bezahlt werden und ausgebildet sind. Die gehen auch ganz anders mit Stresssituationen um. Ihre erste Frage war, wie ich schlafe. Die Seenotrettung verändert einen natürlich. Eigentlich bin ich Hein Blöd aus dem Hamburger Hafen und fahre dann auf einmal auf solche Missionen. Wie soll man sich als einfacher Hamburger Binnenschiffer darauf vorbereiten, dass, wenn man eine halbe Stunde zu spät kommt, Menschen sterben und man dann noch drei Leichen bergen muss? In der Binnenschifffahrt-Ausbildung wurde ich nicht darauf vorbereitet, jemanden ins Gesicht zu gucken, der nicht mehr lebt.
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