Hilfe für Obdachlose in Bremen: Es braucht mehr als Wohnungen

Die neue Regierung will mehr Wohnraum für obdachlose Menschen schaffen. Aktive der Wohnungslosenhilfe üben Kritik aber an diesem Plan.

Wer lange auf der Straße gelebt hat, braucht für den Umzug in eine Wohnung Hilfe Foto: dpa

BREMEN taz | 600 bis 700 Menschen leben in Bremen auf der Straße – laut Wohnungslosenhilfe steigt ihre Zahl. SPD, Grüne und Linke haben sich daher vorgenommen, in der nächsten Legislaturperiode mehr Wohnraum für Obdachlose zu schaffen.

Allein mit dem Bau regulärer Wohnungen lässt sich das Problem wohl nicht lösen. „Es gibt eine lange Schlange an Interessenten, Wohnungslose kämen da nicht dran“, ist sich Joachim Barloschky vom Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen sicher. Dazu kommt: Obdachlose haben oft andere Bedürfnisse.

„Wer jahrelang auf der Straße gelebt hat, hat seinen eigenen Lebensrhythmus“, erklärt Bertold Reetz von der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission. Wichtiger als eine moderne Heizung kann dann ein Kleinstgarten sein, damit der Hund heraus kann. Die Stadt, so findet Barloschky, sollte kleine Häuschen aufkaufen, dezentral über Bremen verteilt.

Bei den Koalitionären hat dieser Gedanke offenbar Gehör gefunden: „Das Sozial- und Bauressort suchen geeignete Flächen und initiieren kleine Wohneinheiten, die den ‚Housing first‘-Ansatz auch für jene wohnungslosen Menschen ermöglichen, die mehr Frei- und Toleranzräume brauchen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Darüber hinaus will die neue Regierung im Rahmen eines Pilotprojekts jedes Jahr für 50 Wohnungen im ganzen Stadtgebiet Belegrechte kaufen. Klingt gut – macht aber nicht alle Vertreter der Wohnungslosenhilfe komplett glücklich.

Vielerorts nur noch als Notlösung

Die Zahl der Belegwohnungen, in denen Menschen nach Obdachlosenpolizeirecht (OPR) untergebracht werden können, ist stark gesunken, von über 3.000 Ende der 90er-Jahre auf heute nur noch 30. Der Rückgang war nicht der Not der Stadt geschuldet, sondern politisch gewollt: OPR-Wohnungen gelten vielerorts nur noch als Notlösung, Menschen leben dabei nicht im eigenen Wohnraum. Aus ihren Nutzungsverträgen könnten sie – rein theoretisch – von einem auf den anderen Tag herausgeworfen werden.

Der neue Anspruch ist dagegen ein Mietvertrag, mit allen Rechten und Pflichten. Man hofft, dass sich Mieter für die eigene Wohnung eher verantwortlich fühlen. Auch bei den verbliebenen OPR-Wohnungen und den geplanten Belegwohnungen soll im Normalfall die Nutzung nach sechs bis 18 Monaten in einen Mietvertrag übergehen. „Das ist sehr wünschenswert“, lobt Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Leiter im Bereich Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission.

Mietlösung nicht unumstritten

Doch unumstritten ist die Mietlösung in Bremen nicht. „Ein reines Nutzungsrecht ist scheiße“, findet zwar auch Barloschky von Menschenrecht auf Wohnen. Doch wenn der Nutzungsvertrag zum Mietvertrag werde, sei die Folge oft: „Die Menschen fliegen als Mieter raus und werden wieder obdachlos.“

Das bestätigt im Prinzip auch die Sozialbehörde: „Es passiert immer wieder, dass Menschen erneut in eine Krise geraten. Unsere Fachstelle nennt das Drehtüreffekt“, erklärt Dorothea Staiger, Büroleiterin der Sozialsenatorin. Im Ressort überlegt man daher, in Einzelfällen eine nachträgliche Betreuung einzuführen.

Für mehr Betreuung ist man bei der Inneren Mission zu begeistern – doch genau hier befürchtet man auch, dass das Wohnraumprogramm aus dem Koalitionsvertrag nicht weit genug geht. „Mit einer Wohnung ist das Problem Obdachlosigkeit erst mal gelöst – aber nicht die Perspektivlosigkeit“, sagt Streetworker Jonas Pot d’Or.

Läuft nicht immer reibungslos

In Bremen wird die sozialpädagogische „Aufsuchende Hilfe“ und das weitergehende „Intensiv betreute Wohnen“ angeboten. Voraussetzung ist, dass die Neumieter sich auf eine Begleitung einlassen. Bei klassischen OPR-Wohnungen gibt es dagegen nur ein Minimum an Mitwirkungspflichten und kaum sozialpädagogische Betreuung.

Das läuft nicht immer reibungslos: Ein Betroffener, der seit Jahren in einer der wenigen verbliebenen OPR-Wohnungen lebt, erzählt der taz von schlechter Infrastruktur, vor allem aber vom sozialen Stress mit Nachbarn.

Ein Ziel, verschiedene Herangehensweisen

Brase-Wentzell sieht sich bestätigt: „Es ist schwierig, wenn Menschen zusammenleben, die Sucht- oder psychische Probleme haben und nicht aktiv an Veränderung arbeiten wollen.“ Das „Housing first“-Projekt, bei dem neue Belegwohnungen angekauft werden sollen, sieht er kritisch – ihm fehlt ein Hinweis auf die Betreuung. „Ich habe Sorge, dass es dabei nur um die Unterbringung geht – dann wären wir wieder bei OPR.“

Noch diese Woche wollen er und andere Vertreter sozialer Träger mit der dann frisch gewählten Sozialsenatorin Anja Stahmann sprechen. „Wir haben das gleiche Ziel – nur verschiedene Herangehensweisen“, glaubt Brase-Wentzell.

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