: Gericht lehnt Asyl für Jesiden ab
Vor fünf Jahren wurden Tausende jesidische Frauen im Nordirak von Terroristen versklavt, ihre Männer ermordet. Ein Gericht in Lüneburg hält die Region nun für sicher
Ali Khalaf, Landesverbandsvorsitzender
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) sieht keine Gefahr einer massenhaften Verfolgung von Jesiden und Jesidinnen im Norden des Iraks mehr. Das Gericht in Lüneburg lehnte deshalb am Dienstag die Asylanträge eines irakischen Jesiden und seiner Schwester ab. Eine Gruppenverfolgung von Jesiden im Sindschar-Gebirge sei nicht mehr „hinreichend wahrscheinlich“, nachdem die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verdrängt worden sei, hieß es zur Begründung.
IS-Terroristen hatten im August 2014 mehr als 10.000 Angehörige der religiösen Minderheit im Sindschar-Gebirge eingekesselt. Sie nahmen Tausende jesidische Frauen und Kinder gefangen und versklavten sie. Tausende Männer wurden getötet. Hunderttausende Angehörige der Volksgruppe flohen, viele von ihnen kamen nach Europa. Seit der Verschleppung der Frauen sind nach offiziellen Angaben vom April 3.425 Menschen aus der Gewalt des IS befreit worden. Das Schicksal von knapp 3.000 Frauen ist aber immer noch unklar. Baden-Württemberg hat seit 2015 etwa 1.000 Frauen und Kinder aufgenommen, die in IS-Gefangenschaft waren. Auch Niedersachsen und Schleswig-Holstein nahmen jeweils eine kleine Zahl von Opfern auf. Die größte Exil-Gemeinschaft der Jesiden befindet sich in Deutschland. Hier leben zwischen 50.000 und 90.000 Jesidinnen und Jesiden, überwiegend in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
„Noch immer leben rund 500.000 Jesiden, damit die Hälfte eines einstmals großen Volkes, in den Flüchtlingslagern des Irak“, beklagte der Vorsitzende des Niedersächsischen Landesverbandes der Jesiden, Ali Khalaf. „Noch immer ist eine Rückkehr in die Siedlungsgebiete unmöglich.“ Zu den Lichtblicken gehörten die Aufnahmeprogramme der Bundesländer. Allerdings werden in Niedersachsen wie in anderen Bundesländern immer weniger Jesiden als Geflüchtete anerkannt.
Vor dem OVG-Urteil hatten Verwaltungsgerichte in Niedersachsen nicht einheitlich entschieden, ob Jesiden im Sindschar-Gebirge weiterhin als Gruppe verfolgt werden. Das Verwaltungsgericht Hannover hatte den Klägern im April 2018 unter Annahme einer Gruppenverfolgung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte dies zuvor abgelehnt, den Klägern aber eingeschränkten Schutz zuerkannt. Andere Verwaltungsgerichte gingen davon aus, dass eine Gruppenverfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive aktuell nicht mehr besteht.
Die jesidische Gemeinde in Niedersachsen will am Samstag an das Massaker vor fünf Jahren erinnern. (dpa/epd)
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