piwik no script img

Halluzinationen beim Wettlauf im Weltraum

Vor 50 Jahren landete das Nasa-Raumschiff Apollo 11 erstmals auf dem Mond. Zum Jubiläum machen gleich mehrere Graphic Novels eine Hommage an die Ereignisse

Von Ralph Trommer

Der Mann konnte sich wehren. Als sich dem früheren Besatzungsmitglied der Apollo-11-Mission Buzz Aldrin 2002 auf der Straße der Verschwörungstheoretiker Bart Sibrel in den Weg stellte und behauptete, dass die Mondreise nur vorgetäuscht worden wäre, schlug er zu. In einer Gedankenblase begründet Buzz Aldrin seinen Ausraster damit, dass einige seiner Gefährten ihr Leben ließen für die Nasa-Mondmission, wie 1967, als drei Astronauten bei einem Test in ihrer Kapsel verbrannten.

Mit dieser Episode beginnt Peter Eickmeyers Graphic Novel „Der zweite Mann“, dem ersten von zwei Bänden über den Astronauten Edwin „Buzz“ Aldrin Jr., der als zweiter Mensch auf dem Mond immer im Schatten seines Kommandanten Neil Armstrong stand. Eickmeyer zeichnet jedoch kein auf Aldrin reduziertes Porträt, sondern vielmehr eine Hommage an die Apollo-11-Mission, die zeitlich mal vor-, mal zurückspringt, und skizziert dabei einige wichtige Etappen und Rückschläge, die letztlich die Mondlandung im Juli 1969 glücken ließen. Eickmeyer hält sich an historisch überlieferte Fakten, ikonische Fotografien und Zitate der beteiligten Personen, gönnt sich aber auch kleine fiktive Momente, wie eine Liebesszene, die Präsident John F. Kennedy 1961 in einer Hotelsuite zusammen mit Marilyn Monroe zeigt, die für ihn das Lied „Fly me to the Moon“ haucht. Inspiration für Kennedys Interesse an einer Mondreise? Eickmeyers Hommage ist eine von mehreren Comic-Neuerscheinungen zum Jubiläum der Mondlandung vor 50 Jahren. Sie lebt vom malerischen Stil des 1964 geborenen Künstlers, der auch als Maler bekannt ist und u. a. mit der Graphic Novel „Im Westen nichts Neues“ auf sich aufmerksam machte.

Neben biografischen Details zu den Astronauten streift er auch die Zeitgeschichte, indem er an die politischen Attentate auf Hoffnungsträger wie Martin Luther King und Bobby Kennedy erinnert oder Schockbilder des Vietnamkrieges zitiert, der zur Zeit der Mondmission stattfand. Auf einer Seite zeigt er pointiert den Wettkampf im All Mitte der 60er Jahre – immer waren die Russen den Amerikanern eine Nasenlänge voraus. Band 1 endet mit dem Aufsetzen der Mondfähre auf der Oberfläche des Erdtrabanten.

Psyche der Astronauten

Zeitlich umfassender ist die britische Graphic Novel „Apollo 11“, geschrieben von Matt Fitch und Chris Baker, gezeichnet von Mike Collins (die Namensgleichheit mit dem dritten Apollo-Astronauten Michael Collins ist Zufall). Am Anfang steht, wie bei Eickmeyer, die Katastrophe des Apollo 1-Tests durch einen Kabelbrand und ihre Auswirkungen auf die Psyche der Apollo-1-Astronauten. Neil Armstrongs Verlust der eigenen Tochter verfolgt den Kommandanten noch auf dem Mond, wie auch Buzz Aldrins dominanter Vater, ein Weltkrieg-II-Veteran, seinen Sohn unter dauerhaften Druck setzt, der „Erste“ zu sein oder doch lieber Vietnam-Kriegsheld zu werden. Die verschachtelte Erzählweise erzeugt zusammen mit dem effektsicheren Seitenlayout streckenweise einen albtraumhaften Sog. Träume, Gespräche der Astronauten und technisch diffizile Vorgänge des Raumflugs greifen fließend ineinander. Zur Zeit der Mondlandung sucht den einsam im Raumschiff und in der Mondumlaufbahn verbliebenen Michael Collins ein halluzinatorischer Albtraum eines grinsenden „Joker“-Gesichts auf dem Mond heim, bis ihn ein Doppelgänger von Dennis Hoppers Easy-Rider-Hippiefigur in ein absurdes philosophisches Gespräch über Amerika verwickelt. Etwas klischeehaft dagegen gerät der kurze Blick zum Vietnamkrieg, wo auch unter den GIs rassistische Konflikte herrschen, die angesichts der bevorstehenden Mondlandung vergessen werden. Ein grüblerischer Richard Nixon sinniert angesichts des bevorstehenden medienwirksamen Telefonats mit den Astronauten im All über seine eigene historische Bedeutung, sieht sich im Schatten von John F. Kennedy gefangen. „Apollo 11“ zeichnet so ein vielschichtiges Bild der Epoche, auch wenn Zeichnungen und Dialoge an manchen Stellen zu schablonenhaft geraten sind.

Bereits rund 20 Jahre vor der realen Mondlandung entschloss sich der belgische Comiczeichner Hergé (Georges Remi, 1907–83), seine Helden „Tim und Struppi“ auf eine Mondreise zu schicken, die in puncto Technik ganz auf der Höhe ihrer Zeit war – und heute, gemessen an der realen Mondlandung, geradezu prophetisch anmutet. Für das von 1950 bis 1953 im Magazin Tintin als Fortsetzungscomic erschienene Abenteuer recherchierte der Zeichner äußerst gründlich, ließ sich dabei von Raumfahrt-Experten wie Alexandre Ananoff beraten. Hergé stieß auch auf Ausgaben der US-Zeitschrift Collier’s, in denen der deutsche V2-Ingenieur Wernher von Braun seine Vision einer Mondreise schon publizierte, lange bevor er von der Nasa engagiert wurde.

Auch die Mondlandung in Comics kommt nicht ohne historisch belegbare Fakten, ikonische Fotografien und Zitate der beteiligten Astronauten aus

Geheime Raketenbasis

Tims Reise beginnt damit, dass er, Struppi und Kapitän Haddock ihren Freund Professor Bienlein in einer geheimen Raketenbasis im fiktiven Syldavien besuchen. Nach dem erfolgreichen Start einer Testrakete (die der V2 ähnelt) begleiten sie den genialen Wissenschaftler gen Mond. Doch es gibt auch eine konkurrierende Macht, die den Funkverkehr abhört und die Forschungsergebnisse der Reise stehlen will. Lange vor der Sputnik-Krise nahm Hergé hier den sich ins All ausweitenden Kalten Krieg schon vorweg. In der Tintin-Ausgabe vom 23. März 1953 setzte Tim dann als erster Astronaut seinen Fuß auf die Erde, um die „historischen“ Worte „Zum ersten Mal macht ein Mensch von der Erde Schritte auf den Mond“ zu sprechen. Die Schwerelosigkeit in der Rakete und auf dem Mond wurden in hinreißend komischen Szenen visualisiert, etwa, wenn Haddock versucht, eine der Flasche entweichende Kugel Whisky wieder einzufangen, oder, wenn die beiden Schul(t)zes Hand in Hand über die (sehr stimmungsvolle gezeichnete) Mondlandschaft hüpfen. Auch zeichnete Hergé das vereiste Innere einer Höhle. Was noch vor Kurzem als falsch galt, wurde 2018 nachgewiesen: an den Polen des Mondes gibt es gefrorenes Wasser.

„Tim und Struppi auf dem Mond“ bereitet auch heute Lesespaß, da es realistische ­Science-Fiction mit perfektem Spannungsaufbau und humoristischen Elementen verbindet. Anlässlich des „Step“-Ereignisses vom 21. Juli 1969 schickte Hergé übrigens eine gezeichnete Grußkarte an Neil Armstrong, auf der Tim und Co einen verdutzten Astronauten auf dem Mond begrüßen. Armstrong soll sich später für die Karte bedankt haben, der die beiden Tim-Alben „Reiseziel Mond“ und „Schritte auf dem Mond“ beilagen.

Matt Fitch, Chris Baker, Ian Sharman, Mike Collins: „Apollo 11“. Knesebeck Verlag, München, 2019, 168 Seiten, 24 Euro

Peter Eickmeyer: „Der zweite Mann“ Bd. 1. Splitter Verlag, Bielefeld, 2019, 56 Seiten, 56 Euro (Bd. 2 erscheint im September)

Hergé: „Tim und Struppi auf dem Mond“, Carlsen Verlag, Hamburg, 2019, 144 Seiten, 20 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen