: Zwischen Kunst und Propaganda
Eine Historikerin erforscht im Deutschen Schifffahrtsmuseum das Werk des Fotografen Hanns Tschira. 55.000 Negative und Dias sowie 850 Fotoalben von Tschira befinden sich im Besitz des Museums
Hanin Hannouch, Kunst- und Fotohistorikerin, über den Fotografen Hanns Tschira (1899-1957)
Im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven erforscht die Kunst- und Fotohistorikerin Hanin Hannouch das Werk des Bordfotografen Hanns Tschira (1899-1957).
Seit 2003 besitzt das Museum rund 55.000 Negative und Diapositive sowie 850 seiner privaten Fotoalben. Einen Großteil der Bilder hat Tschira an Bord der Schiffe „Bremen“ und „Columbus“ des „Norddeutschen Lloyd“ in den Jahren 1927 bis 1940 aufgenommen.
Auf den Fotos ist das mondäne Leben an Bord der luxuriösen Schiffe zu sehen, darunter Aufnahmen von Berühmtheiten wie Marlene Dietrich, Porträts von Kapitänen, aber auch Fotos der Arbeiter an Bord. Tschira hat darüber hinaus Bilder von „exotischen Motiven“ der europäischen Kolonien gemacht. Seine Fotos, die laut Hannouch irgendwo zwischen Werbung und Kunst anzusiedeln seien, spiegelten gesellschaftliche Werte wider, aber auch kollektive und persönliche Vorurteile sowie Wünsche und Träume der Menschen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.
Ihr Forschungsinteresse, so die Historikerin, richte sich auf die Motive, die im Kontext mit dem Nationalsozialismus verwendet worden seien. Sie untersuche die visuelle Kultur dieser Zeit, um einen tieferen Einblick in die Ästhetik von Tschiras Bildern zu erhalten und seinen Einfluss auf andere Medien wie Werbeplakate und Postkarten zu verstehen. Tschira habe gewusst, wie man Aufmerksamkeit erregt und sich dem Markt anpasst: „Heute wäre er wahrscheinlich Influencer“, sagt Hannouch.
Tschira hat auch die letzte Reise der „Bremen“ kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges mit der Kamera dokumentiert. Im Tarnanstrich fuhr das Schiff von New York nach Murmansk. Das Bildmaterial wurde in dem propagandistischen Buch „Die Bremen kehrt heim; deutscher Seemannsgeist und deutsche Kameradschaft retten ein Schiff“ im Jahr 1940 veröffentlicht.
Welcher Gesinnung Tschira angehörte, sei indes nicht eindeutig festzustellen, sagte Hannouch. Bisher sei weder eine NSDAP-Mitgliedschaft dokumentiert noch eine Entnazifizierungsakte gefunden worden. Von 1940 bis 1946 hat Tschira in Berlin gearbeitet und das kulturelle Leben in der NS-Zeit abgelichtet. Einige seiner Bilder sind in Nazi-Zeitungen und -Büchern veröffentlicht worden.
Nach 1946 arbeitete Tschira in Baden-Baden als Theaterfotograf. (epd/taz)
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