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„Generalstreik“ sorgt für Chaos in Hongkong

Die Protestbewegung zeigt weiter keine Ermüdungserscheinungen, sondern erhöht den Druck auf die unbeliebte Regierungschefin Carrie Lam. Die bleibt ihrerseits hart

Tränengas­einsatz am Montag im Hongkonger Stadtteil Tai Po Foto: Tyrone Siu/reuters

Von Sven Hansen

In der südchinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong haben von der Protestbewegung initiierte Streiks am Montag für chaotische Verhältnisse gesorgt. Sie setzen die sich unnachgiebig gebende Regierung der unbeliebten Regierungschefin Carrie Lam weiter unter Druck. Im morgendlichen Berufsverkehr legten Tausende Demonstranten mehrere U-Bahn-Linien lahm, indem sie die Eingangssperren und die Zugtüren blockierten und so das Betreten der Bahnhöfe wie das Abfahren der Züge verhinderten.

Dies betraf auch Expresszüge zum Flughafen. Dort fielen knapp 200 Flüge aus. Laut der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post konnte nur eine der zwei Start- und Landebahnen betrieben werden, weil sich viele Fluglotsen krank gemeldet hatten. Das galt dem Blatt zufolge auch für etliche Piloten und Flugbegleiter der Fluggesellschaft Cathay Pacific und ihrer Töchter. Die Hälfte der Cathay-Flüge nach Peking, Shanghai und Bangkok fiel aus.

Die Protestbewegung hatte für Montag zum Generalstreik aufgerufen. Der Begriff ist für die erfolgten Störungen sicher zu hoch gegriffen, doch hatten tatsächlich etliche Geschäfte und Bankfilialen geschlossen. „Wir respektieren die Entscheidung einiger Mitarbeiter sich dem Streik anzuschließen, während wir den Filialbetrieb aufrecht erhalten wollen“, sagte Louisa Cheang, die Geschäftsführerin der Hang Seng Bank, laut South China Morning Post. Eine Rekordzahl von Krankmeldungen in zahlreichen Firmen beeinträchtigte das Leben in der normalerweise sehr effizient organisierten Finanzmetropole.

Am Montag kam es auch am dritten Tag in Folge zu Tränengaseinsätzen der Polizei gegen Demonstranten. Diese sammelten sich zu Zehntausenden an sieben Orten in der 7,5-Millionen-Einwohner-Metropole, um gegen die Peking-hörige Regierungschefin Carrie Lam zu demonstrieren. Sie hat zwar das Auslieferungsgesetz, dessen Entwurf die Proteste ausgelöst hatte, längst für „tot“ erklärt. Aber die seit mittlerweile neun Wochen protestierende Bewegung richtet sich längst auch gegen die Einmischungen Pekings in die Hongkonger Politik.

Die Proteste haben Hongkong „an den Rand einer sehr gefährlichen Situation“ gebracht

Regierungschefin Carrie Lam

Die Demonstranten, die aus allen Teilen der Bevölkerung kommen und selbst Beamte und Staatsbedienstete einschließen, kritisieren eine Aushöhlung der Autonomie der Stadt, die nach der Formel „ein Land, zwei Systeme“ von Peking zugestanden wurde. Die Protestbewegung, die trotz der in jüngster Zeit eskalierenden gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei weiterhin überwiegend friedlich agiert, fordert demokratische Reformen. Diese werden von Peking verweigert.

Chinas für Hongkong zuständiges Regierungsamt kündigte für Dienstag eine neue Stellungnahme an. Bisher hatte Chinas Regierung Hongkongs Polizei zu einem harten Durchgreifen aufgefordert. Zugleich wurde in letzter Zeit mit einer direkten gewaltsamen Intervention des chinesischen Militärs gedroht. Der Regierung in Peking missfallen symbolische Aktionen – wie am Wochenende die Versenkung einer chinesischen Nationalflagge im Hongkonger Hafen.

Am Montagmorgen verteidigte Regierungschefin Lam erneut ihr Handeln. Sie gestand zwar auch Fehler ein, zeigte sich aber unnachgiebig und forderte eine Ende der Proteste. Denn diese hätten die Stadt „an den Rand einer sehr gefährlichen Situation“ gebracht, erklärte sie bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Dabei wurde sie von Teilen ihres Kabinetts flankiert. Die Regierung werde entschlossen vorgehen, um Recht und Ordnung zu wahren und das Vertrauen wieder herzustellen, kündigte Lam an. Sie lehnt eine von der Protestbewegung geforderte unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt ab. Demonstranten sind empört, dass die Polizei kaum eingriff, als im Juli ein prochinesischer Schlägertrupp Demonstranten attackiert hatte.

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