inklusion im sport (IV)
: Auch Fußgänger dürfen aufs Eis

Tennis im Dunkeln, Eishockey im Sitzen, Tanzen ohne Beine: Ein Handicap hindert Athlet*innen nicht, Leistung zu bringen. Hürden gibt es oft nur in den Köpfen. Wir stellen im Sommer Sportler*innen aus dem Norden vor

Abb.: shutterstock.com

Als der gelernte Zimmermann Jacob Wolff aus Bremen 2006 nach einem Arbeitsunfall plötzlich auf den Rollstuhl angewiesen war, brauchte er etwas, wo er mit seiner Energie, manchmal auch seiner Wut, hinkonnte. Während der Reha in Hamburg-Boberg lernte er jemanden kennen, der ihm Aufnahmen von der Sportart zeigte, in der er heute Nationalspieler ist und in der er hofft, an den Paralympischen Spielen 2020 in Tokio teilnehmen zu können: Para-Eishockey, wie der international übliche Begriff ist – oder Sledgehockey, wie sie bei den Weserstars in Bremen, für die Wolff seit 13 Jahren antritt, traditionsbewusst genannt wird.

Schnelle Antritte, abrupte Wenden, ständige Tempowechsel, rasante Zweikämpfe an der Bande – Eishockey gilt als schnellste Sportart der Welt. Die Sledgehockey-Spieler auf ihren einkufigen Schlitten, die mit Hilfe von zwei Schlägern, an deren Ende Spikes angebracht sind, Fahrt aufnehmen, entwickeln eine ähnliche Dynamik.

Auch wenn Regeln, Spielerzahl und Spielfeldabmessungen identisch sind: gute Eishockey-Spieler sind nicht automatisch gute Sledgehockey-Spieler. „Die Schusstechnik mit den kürzeren Schlägern ist völlig anders“, sagt Wolff. Vor allem aber: „Im Schlitten sind die Beine eher hinderlich, da kommt es auf Oberkörper- und Brustmuskulatur und eine gute Koordination an.“

Deshalb können im Sledgehockey, das in den 1970er-Jahren in Schweden erfunden wurde, auch beliebig viele „Fußgänger“, also Spieler ohne Geh-Behinderung, mitmachen. „Wir integrieren auch Nicht-Behinderte“, sagt Wolff. Im Team der Weserstars ist im Augenblick ein Fußgänger dabei. Insgesamt gibt es in Deutschland laut Wolff etwa fünfzig Sledgehockey-SpielerInnen, die in der Liga in vier Mannschaften gegeneinander antreten.

Vor ein paar Jahren waren es noch doppelt so viele Mannschaften. Doch zwischenzeitlich gab es Befürchtungen, dass gar kein Spielbetrieb mehr zustande kommen würde. „Die Leute werden älter und es ist schwierig, Nachwuchs anzuwerben“, sagt Wolff. Viele Eltern hätten Angst, der Sport sei für die Kinder und Jugendlichen zu hart.

Auch wenn es in der Liga in der abgelaufenen Saison für den dreimaligen Meister nur zum vierten und letzten Platz reichte, ist Wolff froh, dass bei den Weserstars nach einem Mitgliederschwund jetzt wieder sieben Männer und eine Frau im Alter von 16 Jahren bis Mitte 40 am Spielbetrieb teilnehmen.

Der Liga-Betrieb ruht bis Ende des Jahres – dafür wartet im November die B-Weltmeisterschaft im Para-Eishockey in Berlin, auf die Wolff sich den Sommer über vorbereitet. Im Moment spielen vier Bremer im Nationalteam, das sich Hoffnungen macht, sich für die Paralympics in Tokio zu qualifizieren. Dort dürfen anders als im nationalen Ligabetrieb, nur SpielerInnen mit Einschränkungen der unteren Extremitäten eingesetzt werden.

Noch wichtiger als der Erfolg ist für Wolff, „dass unsere Sportart überlebt“. Als die Mitglieder seines Teams in Bremen als beste Behindertensportler des Jahres 2016 ausgezeichnet wurden, rief Wolff in den Saal: „Ich rufe euch alle auf, sich auf den Schlitten zu setzen.“ Ralf Lorenzen