: „Das ist erschreckend“
Pro Femina eröffnet am Donnerstag eine Beratungsstelle für ungewollt Schwangere in Berlin. Dort werden Frauen nicht ergebnisoffen beraten, kritisiert Kirsten Achtelik. Zwei Bündnisse rufen zum Eröffnungstag zu Protesten auf
Interview Patricia Hecht
taz: Frau Achtelik, am morgigen Donnerstag soll eine Beratungsstelle für ungewollt Schwangere am Ku’damm eröffnen. Sie unterstützen den Aufruf zur Gegenkundgebung. Warum?
Kirsten Achtelik: Diese „Beratungsstelle“ ist von Pro Femina. Dieser Verein gehört zum Spektrum sogenannter Lebensschutzorganisationen. Hier werden ungewollt Schwangere also nicht ergebnisoffen, sondern mit dem Ziel beraten, dass sie das Kind bekommen.
Woher wissen Sie, dass Pro Femina nicht ergebnisoffen berät?
Anders als offizielle Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen stellt Pro Femina keine Beratungsscheine aus, die für Schwangerschaftsabbrüche hierzulande aber nötig sind. Reporterinnen von Buzzfeed haben sich außerdem in den bereits existierenden Beratungsstellen von Pro Femina in München und Heidelberg undercover angeschaut, wie beraten wird. Das ist erschreckend. Es wird moralischer Druck auf Schwangere aufgebaut, es wird versucht, sie hinzuhalten, bis die Frist verstrichen ist, innerhalb der sie abtreiben können.
Wer steht hinter dem Angebot?
Pro Femina ist die Beratungsstruktur von 1000plus. Diese Kampagne führt auf ihrer Website Pro Femina als ihren Verein auf. 1000plus ist im Spektrum Lebensrecht eindeutig positioniert. Sie bekommen Gelder von der Stiftung „Ja zum Leben“, die Teil des Bundesverbands Lebensrecht ist. Das ist der größte Zusammenschluss deutscher Lebensschutzgruppen, der auch den „Marsch für das Leben“ in Berlin veranstaltet. Und als Projektleiter von 1000plus sowie Vorstandsvorsitzender und Leiter von Pro Femina tritt Kristijan Aufiero auf.
Protest Das Bündnis „Marsch für das Leben – What the fuck“ und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung rufen zur Kundgebung am morgigen Donnerstag (1. August) von 16 bis 18 Uhr gegen die Eröffnung der Beratungsstelle Pro Femina am Kurfürstendamm 69 auf. Sie fordern die ergebnisoffene Beratung von Schwangeren in Krisensituationen, den freien Zugang zu Informationen über Abtreibungen und die Schließung der Beratungsstelle. (taz)
Wer ist das?
Aufiero hat unter anderem beim zweiten „One of Us“-Kongress in Budapest 2017, auf dem sich über 600 Vertreter*innen europäischer Anti-Abtreibungs-Organisationen versammelt hatten, eine Rede gehalten. „One of Us“ ist ein europaweites Netzwerk, das 2013 eine sehr erfolgreiche EU-Bürgerinitiative zum Verbot zur Finanzierung von Abtreibungen und embryonaler Stammzellforschung durchführte. Er hat auch am fundamentalistisch-christlichen World Congress of Families teilgenommen, dem größten globalen Treffen von sogenannten LebensschützerInnen, die bis in den Vatikan und sehr gut innerhalb der US-amerikanischen und europäischen extremen Rechten vernetzt sind.
Woher kommt das Geld der Organisation? Die Beratung ist kostenfrei.
Laut eigener Auskunft sind das Spenden, und der Verein ist offenbar ziemlich gut darin, Spenden zu generieren. 2017 hat er laut Rechenschaftsbericht fast 3,5 Millionen Euro eingesammelt Woher das Geld konkret kommt, wird nicht offengelegt, aber in der Vergangenheit gab es etwa Spendenkampagnen in Kirchen. Manche progressiven Kirchengemeinden haben dem schon einen Riegel vorgeschoben. Außerdem sind sie 2012 vom christlichen Babynahrungshersteller Hipp unterstützt worden.
Warum kommt Pro Femina jetzt nach Berlin?
Berlin ist als ziemlich atheistische Stadt ein eher schwieriges Pflaster für die teilweise fundamentalistisch-christliche Lebensschutzbewegung. Wenn ich ein bisschen spekulieren soll, würde ich sagen, es ist eine Mischung aus Missionars- und Märtyrertum: Fundamentalistische Christ*innen fühlen sich umso besser, je schwerer ihre Aufgabe ist. Fakt ist: Jetzt hat Pro Femina eine Beratungsstelle in der Hauptstadt. Dabei gilt die Stelle weniger der politischen Einflussnahme als der Beeinflussung ungewollt Schwangerer: Damit können sie diese noch besser erreichen. Für die Stelle in Berlin hat 1000plus eine massive Kampagne in ihren Netzwerken gefahren. Die Argumentation, dass aus Berlin die meisten Suchanfragen kämen, weil hier angeblich ein so großer Druck auf „Schwangeren in Not“ laste wie „nirgends sonst in Deutschland“, war offensichtlich überzeugend.
Kirsten Achtelik
41, Sozialwissenschaftlerin und Autorin, arbeitet zu feministischen Theorien und Bewegungen und der Lebensschutzbewegung. Im März 2018 ist ihr Buch „Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ‚Lebensschutz‘-Bewegung“ (Verbrecher Verlag) erschienen, das sie zusammen mit Eike Sanders und Ulli Jentsch geschrieben hat.
ÄrztInnen dürfen auf ihren Webseiten nicht darüber informieren, mit welchen Methoden sie Schwangerschaftsabbrüche machen. Kann sich demgegenüber einfach jeder „Beratungsstelle“ nennen?
Die Beratungsstellen, die Scheine ausstellen, brauchen eine Genehmigung. Als Pro Femina Anfang Juni verkündete, dass sie Räume für ihre „Beratungsstelle“ in Berlin gefunden hätten, habe ich bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Gleichstellung nachgefragt, ob sie eine Handhabe sehen, einzugreifen. Die Staatssekretärin für Pflege und Gleichstellung, Barbara König (SPD), hatte bereits im April, als das antifaschistische Pressearchiv- und Bildungszentrum apabiz bekannt gemacht hatte, dass Pro Femina diese Beratungsstelle eröffnen will, getwittert, dass sie da „kritisch draufschauen“ werde. Auf meine Nachfragen hat sie inzwischen geantwortet, dass es bei privat-rechtlichen Vereinen, die keine staatliche Unterstützung und Anerkennung beantragten, wenig Handhabe gebe. Der Senat habe das „Thema politisch auf dem Schirm“ und werde das auch in die Bund-Länder-AG einbringen. Davon abgesehen tut die queere, feministische und linke Bewegung der Stadt gut daran, sich dem Versuch dieses Vereins entgegenzustellen, hier Fuß zu fassen. Das soll am Donnerstag passieren.
inland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen