Justiz in der Türkei: Gericht stärkt Meinungsfreiheit

Türkische Akademiker, die wegen Terrorpropaganda verurteilt wurden, sind mit Beschwerde erfolgreich. Das lässt auch Exilierte hoffen.

EIn Plakat mit Illustrationen der wegen Terrorpropaganda angeklagten Akademiker

Unterstützerdemo für die wegen Terrorpropaganda angeklagten Akademiker im Dezember 2017 in Istanbul Foto: ap

ISTANBUL taz | Mit einem wegweisenden Urteil hat das türkische Verfassungsgericht die Meinungsfreiheit gestärkt. Am Freitagabend gab es bekannt, dass neun Akademiker, die 2016 einen berühmt gewordenen „Aufruf zum Frieden“ unterzeichnet hatten, zu Unrecht wegen Terrorpropaganda verurteilt worden waren.

Der Aufruf sei im Rahmen der Meinungsfreiheit legal gewesen. Damit gab das Verfassungsgericht der Beschwerde der Akademiker statt und ordnete eine erneute Verhandlung vor den zuständigen Gerichten und eine symbolische Wiedergutmachung in Höhe von 1.500 Euro an.

Das Urteil hat für die gesamte Akademikerschaft in der Türkei eine große Bedeutung. Der „Aufruf für den Frieden“ war von mehr als 2.000 AkademikerInnen unterschrieben worden, die deswegen alle in Schwierigkeiten kamen. Weil die kurdische PKK damals ihren Krieg in diverse Städte im Südosten des Landes getragen hatte, nannte Präsident Recep Tayyip Erdo­ğan den Aufruf der Akademiker „Verrat“ und drohte, solche Wissenschaftler nicht mehr an den Universitäten zu dulden.

Fast alle Unterzeichner verloren ihren Job. Nicht nur in den staatlichen Universitäten folgte man der Weisung des Präsidenten, auch alle Privatunis kündigten den AkademikerInnen. Gegen etliche von ihnen leitete die Staatsanwaltschaft auch noch Strafverfahren ein.

Luft zum Atmen

Bis jetzt wurden 203 Wissenschaftler, die das brutale Vorgehen der türkischen Armee und polizeilichen Spezialkräften in den kurdischen Städten angeprangert hatten, wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt, gegen weitere 578 laufen Verfahren. Das Verfassungsgericht hat angekündigt, sein Urteil an alle unteren Instanzen weiterzuleiten, um weitere Verurteilungen wegen Terrorpropaganda zu verhindern.

„Damit ist höchstrichterlich festgestellt, dass der Einsatz für Frieden kein Verbrechen ist“, stellte einer der beschwerdeführenden Anwälte, Arin Gül Yenia­ras, fest. „Das Urteil ist wie ein geöffnetes Fenster, das der Gesellschaft wieder Luft zum Atmen verschafft.“ Alle Verfahren gegen die Unterzeichner der Friedenserklärung müssten eingestellt und die Verurteilten in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werden.

Zudem hat das Verfassungsgericht klargestellt, dass die Wissenschaftler von staatlichen Universitäten sich zu kontroversen Themen im Rahmen ihrer Meinungsfreiheit äußern dürfen. Eine andere Frage ist, ob die entlassenen AkademikerInnen auch ihren Job zurückbekommen. Aber das Urteil ist ein Hoffnungsschimmer auch für diejenigen AkademikerInnen, die wegen der Verfolgung die Türkei verlassen hatten.

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