piwik no script img

Ende der Trödelei

Alle Proteste haben nichts genutzt: Im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf musste das beliebte Freibad einem schicken Hallenbad weichen. Der Wechsel steht auch für die Veränderung der Lebensstile: der durchgetaktete Sportbetrieb ersetzt das Laissez-faire

Von Frank Keil

Die Homepage der Bürgerinitiative ist stillgelegt, der letzte Eintrag auf der Facebook-Seite datiert auf den Oktober 2015. Es irrlichtert nur noch ein Wordpress-basierter Blog durch die Tiefen des Netzes, flankiert von einer Handvoll Kommentare, die eine einzige Frage stellen: Leute, wo seid ihr?

Wo sollen sie auch sein, die Aktivisten der Bürgerinitiative (BI) „Rettet das Freibad Ohlsdorf“, jetzt, wo es das von ihnen gewünschte Bad nicht mehr gibt? Jetzt, wo an dessen Stelle sich eine wuchtige Schwimmhalle erhebt? Dabei hatte es für sie recht hoffnungsvoll begonnen: Die BI erntete besonders im eigenen Stadtteil viel Zuspruch und schnell auch Unterstützung, als 2008 Pläne bekannt wurden, dass es dem Traditionsschwimmbad direkt gegenüber der S- und U-Bahn-Haltestelle Ohlsdorf rabiat an den Kragen gehen sollte.

Besonders ärgerte es die Ohlsdorfer, dass das städtische Unternehmen Bäderland jahrelang im betreffenden Bad, das ein Freibad mit zwei Außenbecken und einer kleinen, angrenzenden Schwimmhalle war, nur die notwendigsten Reparaturen hatte erledigen lassen und der so entstandene, wenn nicht gar herbeigeschaffte Zustand einer dringend renovierungsbedürftigen Anlage nun als das Hauptargument für einen grundsätzlichen Umbau herhalten sollte.

Im Mittelpunkt der Kritik stand besonders der Plan, das anstelle des bisherigen, großzügig angelegten Freibades allein ein sozusagen komprimiertes Hallenbad entstehen sollte. Was entsprechend auch auf Ablehnung stieß: dass die vorhandene Fläche erheblich um ein Drittel verkleinert, weil verkauft werden sollte, um die Umbaukosten zu begleichen. Der Plan, so 120 Wohnungen zu erbauen, beeindruckte die Bürgerinitiativler nicht, ließ sie auch nicht moralisch ins Schlingern geraten.

Also wurde man aktiv, informierte die Presse, die fleißig berichtete; startete schließlich ein stadtteilbezogenes Bürgerbegehren für den Erhalt des Bades, dass mit 41.000 Stimmen recht erfolgreich verlief. Und so wurden die bereits angelaufenen Abrissarbeiten erst einmal gestoppt, die Bagger fuhren wieder weg.

Doch die Stadt Hamburg schaltete sich ein, nahm die Sache an sich. Immerhin wurden aufgrund des Entscheides und der Ein- und Widersprüche manch Baupläne geändert und korrigiert, manches auch neu überdacht, was trotz des Scheiterns so davon erzählt, wie segensreich Anwohnerprotest immer auch sein kann. Anders formuliert: Wer weiß, was jetzt dort Im Grünen Grunde Nummer 1 stehen würde, hätte es die mal überaus sachlichen, mal auch nur wütenden Einwürfe der Bürgerinitiative nicht gegeben.

Ende Juni dann der Schlussstrich nach mehr als zehnjähriger Debatte: Im Beisein von Hamburgs Bürgermeister Tschentscher (SPD) wurde der Kern des neuen Bades eröffnet. Es ist – dass kann man nüchtern anerkennen – ganz hübsch geworden, was anstelle des alten Freibades getreten ist, einerseits. Zwar wirkt es ein wenig putzig, dass man das ehemalige Eingangsgebäude mit seiner golden glänzenden Uhr aus Denkmalschutzgründen hat stehen lassen, es aber weitgehend funktionslos ist. Doch dahinter wird es fast demonstrativ großzügig: Der Kassenbereich, der Umkleidebereich, die Duschen, alles ordentlich durchdesignt, in Grau und Holz.

Die Halle selbst imposant und luftig: im Zentrum ein 50 Meter-Becken, wo früher nur 25 Meter zu durchkraulen waren. Wobei der Clou ist, dass die Glasfassade zur Frei- und Rasenfläche hin aus einzelnen Fensterelementen besteht, die man bei passendem Wetter jeweils zur Seite schieben kann, sodass der bis eben schwimmende Badegast ungehindert ins Freie treten kann, wenn ihm danach ist.

Andererseits: Es fehlt etwas. Der Blick in den Himmel zunächst, nicht nur beim Rückenschwimmen. Besonders aber fehlt die Frei- beziehungsweise Großzügigkeit der alten Anlage, mit ihren Nischen und ihren auch mal ranzigen Ecken, in die man sich zurückziehen konnte und die mitnichten von dem bislang kleinen, adretten Grünflecken aus Rollrasen ersetzt wird.

Eine Funktionalität, die unser Leben dominiert

Und so strahlt das neue Schwimmbad ob seiner Perfektion, ob es will oder nicht, geradezu idealtypisch bald jene Funktionalität aus, die unser heutiges Leben dominiert: Jede Fläche ist durchdekliniert, alles hat seinen Zweck. Also: sich umziehen, schwimmen gehen, Bahnen ziehen, sich umziehen, seine Mails abrufen und wieder gehen. Am besten zwischen zwei Arbeitsterminen – Sport also statt Baden. Gerade in einem aus der Zeit gefallen klassischen Freibad wie dem Ohlsdorfer machte man früher eben auch tausend andere Sachen, um am Ende irgendwie genussvoll den Tag vertrödelt zu haben.

Fast hermetisch ist auch der Kleinkinder- und Kinderbereich durch eine Fensterfront von der großen Schwimmhalle getrennt. Dafür gibt es gewiss vernünftige, energietechnische Gründe. Aber so bleibt eben jeder unter sich. Dabei war es doch früher so schön, dass die, die Kinder hatten, und die, denen Kinder auf die Nerven gingen, aufeinandertrafen. Dass die, die laut Musik hören wollten und dazu spezielle Gerätschaften mitbrachten, sich mit denen, denen allein nach meditativer Ruhe war, irgendwie einigen mussten.

Und so erzählt das neue Ohlsdorfer Bad eben auch von dem, was man hochgestochen die Segregation der Gesellschaft nennt. Fragt man denn auch ältere Besucher, von Liege zu Liege sozusagen, wird genau das vermisst: dass einst so viel Platz war, sich einerseits alles verlief und andererseits alles durchmischte. Und wehmütig schauen sie auf die bereits abgesperrten Areale der ehemaligen Freifläche, wo bald die angekündigten Wohnungen erbaut werden sollen. Nicht nur um den dortigen Baubestand bangen sie, sondern fürchten auch, dass die wachsende Stadt ihnen weiter auf die Pelle rückt, dabei konnte man sie hier mal vergessen, konnte sich fühlen, als sei man mal ganz woanders: im Freien eben.

In Hamburg-Hamm, einem Stadtteil in ganz anderer Richtung, im Osten nämlich, der ähnlich wie Hamburg-Ohlsdorf nicht an der Peripherie, aber auch nicht im Zentrum liegt, steht den Bewohnern vermutlich Ähnliches bevor: Das dortige, sehr beliebte Aschbergbad mit seiner 111 Meter langen Außenrutsche soll gleichfalls abgerissen werden. Auch hier soll an Stelle des Freibads ein Hallenbad treten, auch hier sollen Freiflächen verschwinden, soll man zusammenrücken, soll es effektiv werden. Dafür haben sich die Planer schon mal einen werbenden Namen ausgedacht: „Quartiersbad“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen