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: Im Mautstau

Verkehrsminister Scheuer (CSU) zeigt sich mit Aktenbergen aus dem Pkw-Maut-Desaster, um Transparenz zu simulieren. Dabei bunkert er noch immer wichtige Informationen

Andreas Scheuers wichtigstes Requisit, um sich als maximal transparenter Minister zu inszenieren Foto: Jörg Carstensen/dpa

Von Anja Krüger

Auf einen zweistöckigen weißen Rolltisch hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Akten stapeln lassen. Das sind die entscheidenden Requisiten für das Filmchen, das er vor der Sondersitzung des Verkehrsausschusses zum Mautdesaster auf den Fluren des Bundesverkehrsministeriums am Mittwoch drehen lässt. „Ich stelle maximal mögliche Transparenz her“, sagt der Minister in weißem Hemd und ohne Krawatte. „Das ist die Vorbereitung für den Verkehrsausschuss“, sagt er in die Kamera. Noch vor Kurzem geizte Scheuer mit den entscheidenden Details der Verträge für die gescheiterte Ausländermaut. Das hat sich nicht wirklich geändert, aber es sieht jetzt zumindest anders aus. So gewinnt er Zeit – und hat gute Karten, das von ihm angerichtete Desaster als Minister zu überstehen.

Scheuer steht unter Druck, seit der Europäische Gerichtshof im Juni die von der CSU durchgesetzte „Infrastrukturabgabe“ gekippt hat. Denn die sollte faktisch nur für AusländerInnen gelten – und das verstößt gegen europäisches Recht. Scheuer wartete das Urteil jedoch nicht ab. Schon vor dem Spruch des Europäischen Gerichtshofs schloss er Verträge mit zwei Firmen, die die Maut organisieren sollten. „Er ist bewusst in dieses enorme Risiko gegangen“, sagt der grüne Vize-Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer.

54 Millionen Euro sind bei dem Debakel bereits an Gutachter- und Beraterkosten aufgelaufen. Gravierender: In den Verträgen hat das Bundesverkehrsministerium den Firmen eine Entschädigung zugesagt für den Fall, dass das Projekt nicht zustande kommt. Wie hoch sie sein wird, ist unklar. In den veröffentlichten Dokumenten ist die Rede von einer Summe in Höhe des „Bruttounternehmenswerts“ – was das ist, ist nicht genau definiert. Krischer geht davon aus, dass der Schaden bei bis zu zwei Milliarden Euro liegen kann.

Scheuer nennt Zahlen über die Entschädigung „Spekulation“ und nennt selbst keine. Dabei müsste er eine Vorstellung davon haben, in welchem Rahmen sich die mögliche Kompensation für die Betreiberfirmen bewegen kann. Zwei Milliarden Euro für nichts in den Sand zu setzen, das kann sich auch ein Hallodri wie Scheuer nicht leisten. Das ist sogar ihm klar.

Zur Sondersitzung des Verkehrsausschuss bringt Scheuer den Aktenberg aus seinem Ministerium mit, auf einem größerem Rollwagen als im Filmchen. Demonstrativ hält er Akten vor die Kameras. Dabei enthalten auch diese Unterlagen nicht alle wichtigen Informationen, sondern nur ausgewählte Dokumente. „Die Regierung entscheidet, was das Parlament wissen darf“, kritisiert Krischer.

Scheuer, jetzt mit lila-schwarz gepunkteter Krawatte und dunklem Jackett, spricht etwa eine Stunde. Er findet, dass er alles richtig gemacht hat. Schließlich haben Bundestag, Bundesregierung und sogar der Bundespräsident mit seiner Unterschrift unter das entsprechende Gesetz der Ausländermaut zugestimmt, sagt er. Seine Verteidigungslinie hat eine Menge Konjunktive: Wenn er nicht rechtzeitig Vorbereitungen für die Maut eingeleitet hätte, wäre, wenn das Urteil anders ausgegangen wäre, die Empörung jetzt groß. Denn dann wären dem Staat Millionen entgangen.

Scheuer nennt Zahlen über die Entschädigung „Spekulation“ und nennt selbst keine

Zu zentralen Fragen, etwa wie es zu der Entschädigungsregel kam, erhalten die Abgeordneten keine zufriedenstellende Antwort. „Verstörend“ findet der linke Bundestagsabgeordnete Jörg Cezanne den Auftritt. Es bleibe weiterhin unklar, warum der Minister die Verträge ohne Not schon im Jahr 2018 geschlossen habe.

Die Abgeordneten sind erst einmal damit beschäftigt, 21 Ordner durchzuarbeiten. Erst danach, wahrscheinlich im September, soll die Entscheidung fallen, ob ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird.

Scheuers Mautkrise wird wohl einen neuen Höhepunkt erreichen, wenn die Betreiberfirmen erklären, welche Entschädigung sie fordern. Aber auch dann wird Scheuer auf Zeit spielen können. Denn die Sache wird erst einmal vor ein Schiedsgericht gehen. Wie lange so etwa dauern kann, zeigt die Lkw-Maut. Der Streit zwischen der Bundesregierung und dem Betreiber Toll Collect wegen des verzögerten Starts dauerte 13 Jahre.