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Heike Holdinghausen über die wunderbare Zukunft des AmateurfußballsZwischen Boah und Vernunft

Boah, echt jetzt, Brüssel will Kunst­rasen verbieten, den deutschen Amateurfußball vernichten! Ein echter Aufreger – da werden Sie diesen Kommentar doch lesen. Versprochen? Weil, eigentlich geht es bei dem Thema um die Chemikalien-Regulierung der EU, die bürokratisch ist, dafür aber gründlich und demokratisch, weil sie die Interessen aller Betroffenen zu berücksichtigen versucht. Texte darüber gelten vielen ja als zu trocken. Der Kunstrasen-Hype bietet also die Chance, etwas über wenig bekannte, aber interessante Verfahren in die Zeitung zu schmuggeln.

Sport- und Spielplätze sind laut wissenschaftlicher Studien relevante Quellen für Mikroplastik in der Umwelt. Die Frage, ob Mikroplastik schädlich ist, ist offen; Antworten sucht weltweit ein Heer von Wissenschaftlern. Dem Vorsorgeprinzip folgend, hat die europäische Chemikalienagentur Echa nun ein Konsultationsverfahren zum Mikroplastik gestartet. Jeder, der sich berufen fühlt – Sportvereine, Umweltverbände oder die AfD –, kann an dem Verfahren teilnehmen und Ansichten und Interessen geltend machen. Danach werden die Kommission, das Parlament und die Regierungen der EU entscheiden, ob sie den Verkauf von Granulat weiter zulassen. Bis dahin werden innovative Unternehmen (weitere) Alternativen entwickeln, die sich sicher prima exportieren lassen.

Es ist ein Balance-Akt. Umweltthemen brauchen Emotionen, weil nur sie Menschen dazu bringen, sich für Themen einzusetzen und Verhalten zu ändern. Wissenschaftler können uns jahrelang die Gefahren des Klimawandels vorrechnen. Erst wütende Jugendliche und zwei heiße Sommer setzen ihn oben auf die politische Agenda. Doch gute Umweltpolitik braucht auch Vernunft. Sie muss nüchtern abwägen, braucht die sachliche Debatte einer informierten Öffentlichkeit. Sonst rennen irgendwann alle mit Papiertüten herum und wettern gegen Kunstrasenverbote. Insofern hat die schräge Aufregung über Kunstrasen etwas Gutes: Die Konsultation zum Mikroplastik wird öffentlich geführt. Nun noch etwas sachlicher – und alles ist gut.

wirtschaft + umwelt

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