: Spannung mit dem Zeigefinger
Die Biografie eines Tages: Niels Schröder erzählt in der Graphic Novel „20. Juli 1944“ von Stauffenbergs Attentat
Von Jan Jekal
Die Geschichte des Attentats vom 20. Juli 1944 ist so fesselnd, dass sich selbst der zugehörige Wikipedia-Artikel wie Genre-Kurzprosa liest. Man kann diese Geschichte nicht nicht spannend erzählen. Es ist alles drin: Der versehrte Offizier (mit Augenklappe!), der sich nach ursprünglicher Regimetreue zum Widerständler gewandelt hat, eine in einer Aktentasche versteckte Bombe, der Gang in die Höhle des Löwen, das Deponieren und Detonieren der Sprengladung, das unwahrscheinliche Überleben des zu Ermordenden, schließlich das tragische, heldenhafte Ende des Aufständischen. Puh! Stauffenbergs Stern leuchtet heute zwar nicht so hell wie der anderer ikonisch gewordener Figuren des deutschen Widerstands, dafür verkörpert seine Person zu viel elitär-aristokratischen Dünkel, der heute unangenehm aufstößt, aber die Story des Attentats selbst, die stimmt.
Sie als Graphic Novel zu erzählen leuchtet sogleich ein. Was bei Wikipedia funktioniert, kann als Comic kaum scheitern! Autor und Zeichner Niels Schröder hat sich in das Thema eingelesen, hat offenkundig nicht nur die bereits erwähnte freie Online-Enzyklopädie konsultiert, sondern mit der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand gearbeitet und Bücher von Historikern gewälzt.
Seine Graphic Novel solle, so schreibt er im Nachwort, „neue bildhafte Räume, neue Assoziationsmöglichkeiten und somit einen emotionaleren Zugang zum Thema schaffen“ und sein Buch könne als Einladung zu anderweitiger vertiefender Lektüre verstanden werden. Schröder möchte also nicht nur oder nicht in erster Linie unterhalten, er möchte seinem Publikum etwas mitgeben.
Diese didaktische Intention ist das Problem seines Buchs. Den Tathergang selbst schildert er in „20. Juli 1944. Biografie eines Tages“ spannend und mit genüsslichem Ausreizen der Suspense („Soll ich Ihnen die Tasche abnehmen? Sie scheint schwer zu sein“, sagt zum Beispiel ein Major, Stauffenberg den Schweiß auf die Stirn treibend). Schröder beschränkt die erzählte Zeit auf den Tag des 20. Juli, nimmt Tageszeiten als Kapitelunterteilungen. Der ständige Wechsel zwischen den Spielorten, die Gleichzeitigkeit, erhöht die Spannung. Mit dem gewünschten „emotionaleren Zugang“ ist das jedoch so eine Sache, gerade im Falle Hitlers, der vielen jungen Leuten, an die sich das Buch richtet, als Bruno-Ganz-Meme wohl mindestens so vertraut ist wie als historische Figur, haben die vielen Fiktionalisierungen zu einer Übersättigung geführt. Es gibt so viele Hitlers, gerade und vor allem als Karikaturen, dass es schwerfällt, den hier nicht komisch angelegten Comic-Hitler nicht komisch zu finden. Aber vielleicht ist das nur mein Problem.
Nicht nur mein Problem jedoch, und jetzt geht es wieder um Schröders Didaktizismus, ist die häufig holprige Exposition. Weil sein Buch nur an dem einen Tag, dem 20. Juli 1944, spielt und weil er sich nicht auf die Action beschränken will, sondern eine lehrreiche Lektüre anbieten möchte, bringt Schröder eine Menge Hintergrundinformationen in der Erzählstimme und, besonders problematisch, in den Dialogen unter. Diese sollen das Geschehen kontextualisieren und die Figuren charakterisieren. Während die historische Eckdaten runterbetende Erzählstimme noch erträglich ist, wenn sie sich auch zu Schulbuch-Sätzen wie „Den Nationalsozialismus beurteilte Stauffenberg zunächst positiv“ hinreißen lässt, müssen Schröders Figuren ihre Intentionen plump ausbuchstabieren, was zu hölzernen inneren Monologen und gestelzten Dialogen führt. So vertraut Stauffenberg seinem Bruder an einem Punkt an: „Ich bin leider von ihm geblendet worden, wie so viele.“ Der Bruder antwortet: „So ist es vielen gegangen, Claus.“ Und: „Du bist jetzt bereit, dein Leben zu opfern – damit der Krieg und das Morden ein Ende finden. Das würden nicht viele tun. Das wird die Nachwelt anerkennen und würdigen.“ Zum Beispiel in Form einer Graphic Novel!
Schröder zeichnet mit dicken Strichen und koloriert großflächig, seine Figuren wirken unbeweglich, man sieht sie meist halbnah das Panel dominierend, der Raum um sie herum ist selten im Detail ausgefüllt. Schröder lässt Stauffenberg in einem ganzseitigen Panel aufreten, zeigt ihn von hinten, eine schwarze Locke lässig abstehend. Ansonsten sind ganzseitige Panels selten, die kleinen Bilder dominieren. Wenn Schröder das Visuelle seines Mediums richtig nutzt, wie zum Beispiel in einer grafischen Darstellung des Bleistiftzünders oder bei einer vogelperspektivischen Übersicht über das sogenannte Führerhauptquartier, dann vermittelt er gleichzeitig Wissen und etabliert effizient das Setting seines Thrillers.
Zu selten aber entwickelt er eine visuelle Sprache, er entscheidet sich häufig für die gleichen Einstellungsgrößen, variiert wenig und verlässt sich mehr auf die Dialoge und die Erzählstimme als auf seine Zeichnungen. Insgesamt ist Schröders „20. Juli 1944“ somit ein lehrreiches, wenngleich zu offenkundig didaktisches Buch, das den Kern seiner spannenden Geschichte spannend erzählt, die Besonderheiten seines gewählten Mediums aber zu zaghaft nutzt, um einen großen Eindruck zu machen.
Niels Schröder: „20. Juli 1944“. be.bra Verlag, Berlin 2019, 144 Seiten, 18 Euro
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