: Frei von Autos – demnächst, vielleicht
Drei autofreie Quartiere sind noch immer nicht realisiert. In Ottensen und an der Binnenalster könnte es bald losgehen, das Rathausquartier lässt weiter auf sich warten
Von Sven-Michael Veit
Nun soll es aber wirklich losgehen: Der Spritzenplatz in Ottensen soll zum Zentrum eines autofreien Quartiers werden. Zumindest fast, und auch nur vorübergehend. Zwei, wahrscheinlich aber sogar acht Straßen nördlich, südlich und westlich des Spritzenplatzes sollen ab September für ein halbes Jahr für Autos gesperrt werden (siehe Kasten), auch AnwohnerInnen dürfen dann nicht mehr vor dem Haus auf der Straße parken. Sie müssen in benachbarte Parkhäuser ausweichen. Das hatten CDU und Grüne Ende März in der Bezirksversammlung mit Unterstützung von Linken und FDP beschlossen, die SPD enthielt sich.
Wenn es nicht läuft, wird der Versuch abgebrochen
Damit würde die Fußgängerzone in der verkehrsberuhigten Ottenser Hauptstraße vor dem Einkaufszentrum Mercado beträchtlich erweitert – auf Probe. Während der Sperrung könnten Entwicklungen, so der Beschluss, die sich nicht bewähren, noch geändert werden. Selbst ein vorzeitiger Abbruch ist denkbar: „Wenn es eine Katastrophe wird, beenden wir das vorzeitig“, hieß es seinerzeit.
Bislang sind viele Details noch unklar. Nach der Neuwahl der Bezirksversammlungen Ende Mai hat der Verkehrsausschuss in Altona noch gar nicht getagt, erst nach der Sommerpause will er zusammenkommen. Dann ist bereits Mitte August und die Zeit bis September knapp. Das Bezirksamt ist seit Tagen nicht in der Lage, eine taz-Anfrage zu den Details der Sperrungen und Umleitungen zu beantworten.
Robert Jarowoy wundert das nicht. Autos aus dem Viertel zu verbannen, findet der Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bezirksversammlung Altona „zwar richtig“, wirklich glücklich ist er mit der Umsetzung jedoch nicht. „Die Verkehrsprobleme werden in umliegende Straßen verdrängt“, sagt er. Denn die Parkhäuser in der Gegend sind voll, für Dauerparker gebe es lange Wartelisten, obwohl die Autodichte im Stadtteil mit 27 Fahrzeugen auf 100 EinwohnerInnen eine der dünnsten in Hamburg ist. Aber Ottensen ist eben hoch verdichtet, auch außerhalb der künftigen autofreien Zone sind Stellplätze knapp. „Dieses Projekt“, sagt Jarowoy, „ist ein richtiger Schritt – aber am falschen Ende.“
Nach den Sommerferien soll auch die Verkehrsberuhigung an der Binnenalster beginnen. Dann wird laut Plan der Ballindamm am Südufer des Sees verkehrsberuhigt. Die Bergstraße, der Jungfernstieg und der Neue Jungfernstieg sollen 2020 folgen. Dadurch soll die Binnenalster „als Erlebnisort deutlich aufgewertet werden“, hieß es noch vor der Neuwahl der Bezirksversammlungen im Mai aus der damaligen rot-grünen Koalition im Bezirk Mitte.
Der vierspurige Ballindamm wird auf zwei Spuren an der Häuserseite zurückgebaut. Die Parkhäuser bei Karstadt und der Europa-Passage sollen erreichbar bleiben, aber der Durchgangsverkehr entfallen. Auf der Wasserseite werden die bisherigen Fahrspuren zu Radwegen, der Fußweg wird zu einer breiten Promenade aufgewertet, die Stellplätze entfallen.
Auch der Neue Jungfernstieg vor dem Hotel Vier Jahreszeiten ist überplant worden. Er soll im nächsten Jahr eine Uferpromenade im ähnlichen Stil bekommen und neue Radwege auf der Straße, der Blick aufs Wasser soll freier werden. Ebenso soll beim Jungfernstieg verfahren werden. Außerdem sollen reichlich Bäume neu gepflanzt werden, um den ursprünglichen Alleecharakter wiederherzustellen. Die Fehler, die bei der Neugestaltung des Jungfernstiegs vor 13 Jahren gemacht wurden, sollen jetzt revidiert werden. Der Grundsatz lautet wieder: Radverkehr gehört auf die Fahrbahn, der Autoverkehr um die Binnenalster wird reduziert.
Drei Quartiere in Hamburg sollen demnächst autofrei oder zumindest verkehrsberuhigt werden:
Ottensen: Rund um den Spritzenplatz sollen die Ottenser Hauptstraße (bis Mottenburger Straße) und die Bahrenfelder Straße (bis Alma-Wartenberg-Platz) autofrei werden. Auch weite Teile der Rothe- und Nöltingstraße, der Großen und Kleinen Rainstraße, Stangestraße und Am Felde sollen wahrscheinlich gesperrt werden.
Rathausquartier: Das Areal südöstlich des Rathauses zwischen Großer Johannisstraße, Domstraße und Nikolaifleet soll autofrei werden. Das betrifft acht Straßen: Börsenbrücke, Dornbusch, Große Bäckerstraße, Kleine Johannisstraße, Neue Burg, Neß, Schauenburgerstraße und Trostbrücke.
Binnenalster: Stark verkehrsberuhigt werden sollen Ballindamm und Bergstaße sowie der Jungfernstieg und der Neue Jungfernstieg.
Im Sommer wird es nichts mehr
Ganz in der Nähe sollte zudem noch in diesem Sommer die Einrichtung einer Fußgängerzone geprobt werden. Acht Straßen des Rathausquartiers in der Altstadt sollten schon seit Juni für drei Monate zwischen elf und 23 Uhr autofrei werden. In dem Gebiet zwischen Rathaus und Domplatz gibt es viele Geschäfte, Restaurants, Cafés und Büros, Wohnungen finden sich nur noch vereinzelt. Die Umsetzung indes liegt noch in weiter Ferne.
Das Ziel ist es, die abends weitgehend verwaiste Innenstadt wiederzubeleben. Dafür hätte sich der Sommer natürlich angeboten, nun findet die Probe wohl im Herbst statt. Unterstützung aus dem Quartier ist jedoch reichlich vorhanden. Bei einer Umfrage im Herbst vorigen Jahres sprachen sich fast 60 Prozent der Grundeigentümer-, Mieter- und PächterInnen für das Experiment aus. Unter den GastronomInnen lag die Zustimmung sogar bei 87 Prozent. Begleitet wird der Modellversuch von der Technischen Universität Harburg mit einer wissenschaftlichen Evaluation.
„Das Vorhaben ist sehr ambitioniert“, sagt Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamtes Mitte. Zur Zeit laufe immer noch die Feinabstimmung mit der Polizei über verkehrsleitende Fragen und die Beschilderung. „Es wird leider später“, sagt Weiland, „aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“
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