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„Das erste Jahr war sehr, sehr anstrengend“

Auf Umwegen in den Lehrerberuf – Gewerkschaft fordert bundesweit gültige Mindeststandards für Quereinsteiger. Angesichts des Lehrermangels sind Hochschulabsolventen, die ein Schulfach studiert haben, sehr begehrt

Von Joachim Göres

Angesichts des Lehrermangels sind Hochschulabsolventen, die mindestens ein Schulfach studiert haben, gefragter denn je. Doch für Quereinsteiger ist es ein steiniger Weg bis zur Festanstellung.

Mechthild Stephany hat einst Musik und Religion studiert, auf das Referendariat in der Schule verzichtet und dann Jahrzehnte an einer Musikschule gearbeitet. Anfang 2018 hat sie mit einer zweijährigen Qualifizierung begonnen und unterrichtet seitdem wöchentlich 23 Stunden an einer Grundschule in Celle, nur fünf Stunden weniger als Grundschullehrer mit einer vollen Stelle in Niedersachsen. „Das erste Jahr war sehr, sehr anstrengend, denn man hat ja noch kein Material, auf das man zurückgreifen kann, und muss jede Schulstunde intensiv vorbereiten. Gerade im Fach Religion, in dem mir die Lehrerfahrung fehlt, ist der Aufwand sehr groß“, sagt Stephany.

Überrascht hat sie der hohe Verwaltungsaufwand, wenn es zum Beispiel darum geht, schriftlich zu begründen, warum ein Kind besonderer Förderung bedarf oder eine Begleitung benötigt. Und auch der Umgang mit schwierigen Kindern muss erst gelernt werden. „Ich habe bei anderen Lehrerinnen hospitiert, mir Konzepte überlegt, Verschiedenes ausprobiert. Die tolle Unterstützung des Kollegiums hat mir sehr geholfen“, sagt die 55-Jährige und fügt hinzu: „Ein großer Unterschied zur Musikschule ist, dass ich in der Grundschule die Kinder fast jeden Tag sehe und intensiver mit ihnen arbeiten kann.“

An ihrem freien Schultag besucht Stephany das Studienseminar Celle, wo Module zur Qualifizierung entwickelt wurden: Haltung und Rolle der Lehrkraft, Unterricht planen, Prävention und Intervention bei Unterrichtsstörungen, Leistungsmessung und Differenzierung. Wie werden Lernziele festgelegt, wie überprüft man, ob sie im Unterricht erreicht wurden – solche Fragen werden mit erfahrenen Lehrkräften in sehr kleinen Gruppen intensiv besprochen und dabei die Erfahrungen aus der Schule aufgegriffen.

Der Deutsche Musikrat schätzt, dass lediglich etwa 25 Prozent des vorgesehenen Musikunterrichts in Grundschulen von fachspezifisch ausgebildeten Pädagogen erteilt werden – drei Viertel der Stunden werden von Nicht-Fachleuten unterrichtet oder sie fallen ganz aus. Der Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften ist nicht nur im Fach Musik groß und kann nicht mehr allein durch Lehramtsstudierende gedeckt werden.

Dabei gibt es faktisch Einsteiger erster und zweiter Klasse: In Niedersachsen absolvieren Quereinsteiger mit einem Universitätsabschluss einen zweijährigen Vorbereitungsdienst unter den gleichen Bedingungen wie die Referendare, die ein Lehramtsstudium absolviert haben. Nach der erfolgreich abgelegten Staatsprüfung können sie verbeamtet werden. Für Quereinsteiger mit einem Fachhochschulabschluss ist eine einjährige pädagogische Einführung vorgesehen. Ihre Betreuung während dieser Zeit ist nicht so intensiv, die Abschlussprüfung ist nicht so umfangreich, eine Verbeamtung nicht möglich, der Verdienst im Angestelltenverhältnis geringer.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert diese unterschiedlichen Bedingungen. Ein Referendariat, das je nach Bundesland zwischen 18 und 24 Monaten dauert, müsse Voraussetzung bleiben, um an Schulen unterrichten zu dürfen. Die Praxis sieht nicht nur in Niedersachsen anders aus. So gibt es laut der GEW in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ausschließlich eine einjährige pädagogische Einführung, während der mit fast voller Stundenzahl unterrichtet wird. Aus GEW-Sicht eine viel zu hohe Belastung, die leicht zum Abbruch der Qualifizierungsmaßnahme führen könne. Genaue Zahlen, wie häufig das passiert, veröffentlichen die Bundesländer nicht.

Wegen der verkürzten Ausbildung gibt es auch unter langjährigen Pädagogen Vorbehalte gegenüber Quereinsteigern. In Berlin haben bislang einige Schulen auf Quereinsteiger verzichtet. Ab sofort sollen sie gleichmäßig über alle Schulen verteilt werden, was auf große Widerstände stößt. In der Bundeshauptstadt waren laut GEW zu Beginn des vergangenen Schuljahres von 2.700 neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrern nur noch 1.000 voll ausgebildete Lehrkräfte. Außer Berlin hätten Sachsen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren die meisten Quereinsteiger angeworben.

Anja Salzwedel berichtet dagegen von sehr motivierten Quereinsteigern, die sie betreut. Die Grundschullehrerin aus Oldenburg ist Seminarleiterin für das Fach Deutsch und hat spezielle Materialien für Quereinsteiger entwickelt. Sie spricht von einer großen Akzeptanz für die spät berufenen Lehrkräfte sowohl bei ihren Kollegen als auch bei Schülern und Eltern.

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