Kolumne Gottlos: Typisch Christen! Oder nicht?

Der grüne Schal ist omnipräsent. Und sonst? Unsere Autorin überprüft ihre Vorurteile beim Evangelischen Kirchentag in Dortmund.

Besucher des Kirchentags

An den grünen Tüchern sollt ihr sie erkennen Foto: dpa

Vorurteile sind schlecht, und deshalb habe ich mir angewöhnt, keine zu haben. Hat man natürlich ohnehin nicht, wenn man für die taz schreibt. Ganz ehrlich nicht. Versprochen.

Na gut: Auf dem Weg zum Evangelischen Kirchentag nach Dortmund habe ich dann doch so einige in mir aufkommen gespürt, aber, mein Gott, bei Christen bin ich da auch nicht so streng mit mir. Also dachte ich freiweg, ein paar christliche Ökos würden kommen, viele Alte und Pfadfindergruppen. Eben alle, die immer und überall hinfahren, wenn es heißt „Auf, auf – hinaus auf große Fahrt und lasst uns dabei was Schönes singen.“

Beim minutenlangen Anstehen an Essensständen, in überfüllten U-Bahnen und beim Durchkämmen der Innenstadt, in der der grüne Schal omnipräsent ist, habe ich mir aber auferlegt, zu fragen: Wer geht denn da noch alles hin?

Eine kurze Antwort könnte sein: alle, irgendwie. Und irgendwie natürlich auch nicht. Das Publikum beim Eröffnungsgottesdienst am Ostentor ist mehrheitlich weiß, und man hört wenig andere Sprachen als Deutsch. Meinen Klischees begegne ich schnell: Pfadfinder*innen, die in ihren Abzeichen übersäten Hemden Hinweisschilder hochhalten – check. Drei ältere Frauen, für die Kirchentag „immer wieder ein kleiner Kurzurlaub ist“ und die in der C&A-Umkleide noch schnell in ihr lila Diakonissenshirt wechseln – check. Zwei weißhaarige Männer, die zwar eigentlich in der katholischen Kirche sind, aber als waschechte Dortmunder den Kirchentag nicht verpassen wollen – check!

Doch der schweifende Blick fängt dann auch die Überraschungen ein: Neben der brav-wirkenden Frau mit Pferdeschwanz, langem Rock und Brille steht eine braungebrannte Chucks-tragende Mitfünfzigerin im gerippten T-Shirt, und sie singt euphorisch mit: „Du nimmst mich so hin, wie ich wirklich bin.“ Alte weiße Männer, die konzentriert das Programmheft studieren, werden von tätowierten Hipstern mit dicker Sonnenbrille im Gesicht flankiert. Ausnahmslos alle scheinen gute Laune zu haben. Ständig umarmt sich irgendwer.

Auch ein paar semibegeisterte Kindergruppen mit obercoolen Jungs hocken in der Menge. Den Kirchenschal lässig um den Kopf gebunden hängen sie während des Gottesdienstes, wie es sich für sie gehört, über den Smartphones.

So ein bisschen involviert sind sonst fast alle. In der U-Bahn treffe ich auf Chorsängerinnen, die mit ehrlicher Begeisterung Restaurant-Schichten übernehmen. Theologiestudierende, für die Uniseminare ausfallen. Doch statt gemütlich am See zu liegen, ist die gesamte Gruppe nach Dortmund gereist: „Der Kirchentag hat doch total Festivalcharakter“, kontert eine Studentin meinen sommerlichen Alternativvorschlag. Dass die Kirchentagsbesucher*innen durch die grünen Schals auffallen und angequatscht werden können, findet sie gut: „Wir Christen fallen ja normalerweise nicht auf.“ Ich nehme mir vor, künftig ein bisschen genauer hinzuschauen.

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Schreibt seit 2017 für die taz und arbeitet seit 2020 als Redakteurin bei der taz. Studierte Kommunikationswissenschaften, Germanistik, Anglistik sowie Kulturjournalismus in Berlin und Essen.

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