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La Boum is over

Der Abstand zwischen den siegreichen USA und den Gastgeberinnen ist weitaus größer, als das knappe Ergebnis von 2:1 aussagt. Schade ist es um die WM-Euphorie

Losende Girls, traurige Jungs Foto: Lucy Nicholson/reuters

Aus Paris Alina Schwermer

Wendie Renard stand nach der Partie noch lange abseits und schaute ins Nichts. Siege feiert man gemeinsam, Niederlagen trägt man allein. Mit einem Anschlusstreffer in der 81. Minute hatte Renard den Französinnen noch einmal Hoffnung gegeben, obwohl dieses 1:2-Aus im Viertelfinale gegen die USA letztlich deutlich war. Es war ein großartiges Spiel, aber im Nachhinein hatten die Spanierinnen im Achtelfinale die USA näher an eine Niederlage gebracht.

Die schnellen, technisch beschlagenen Französinnen blieben ausrechenbar: Immer über die Flügel ging es, vor allem über WM-Entdeckung Kadidatou Diani, hübsch sah das aus, aber die Amerikanerinnen hatten es durchschaut, machten ein frühes Tor und stellten die Flügel zu. So schlägt man Frankreich. Das geduldige Aufbauspiel ist das Ding der Französinnen nicht, ohne Lücken für stürmische Konter sind sie ratlos; Weltmeisterinnen wären sie nicht geworden. Und am Wochenende blieb die kollektive Frage: Und jetzt?

Die Euphorie hatte gerade Fahrt aufgenommen im Land; am Freitagabend in Paris hatte man erstmals das Gefühl, dass hier ein ganzes Land zuschaut. Da berichteten junge Männer in der Metro ungefragt davon, dass sie gleich das Spiel gucken ­gehen, da zeigten plötzlich überall Bars die Partie; jede, mit der man spricht, hat Frankreich – USA gesehen. Die Zuschauerzahlen im TV lagen wie schon gegen Brasilien bei fast 12 Millionen.

„Katerstimmung“, titelte am Wochenende L’Équipe, und die Libération zweifelte laut am Vermächtnis dieses Turniers: „Es wird ein harter Kampf, die Begeisterung nach dem Ausscheiden der Bleues aufrechtzuerhalten. Die EM ist noch weit weg und die Liga interessiert keinen Menschen.“ Dass sich die Französinnen mit dem frühen Ausscheiden nicht für Olympia qualifizieren konnten, ist eher ein untergeordnetes Problem. Nationaltrainerin Corinne Diacre, zuletzt wegen angeblicher Streitigkeiten im Team in der Kritik, muss sich wegen der taktischen Mängel und späten Reaktionen gegen die USA erklären.

Nach der Partie gab sich Diacre gewohnt kühl. „Ich bereue nichts“, entgegnete sie diverse Male. „Man hat trotz allem gesehen, dass wir nicht so weit von den USA weg waren.“ Das kann man anders sehen; eine Partie auf Augenhöhe war es nicht, bei Passspiel und Zweikampf fehlte viel. Sportlich, räumte Diacre ein, sei man weit vom Ziel entfernt, aber, mit einer Spur ungewohnter Emotion: „Ich hoffe, wir haben was anderes gewonnen: die Herzen der Leute.“

„Ich bereue nichts“

Corinne Diacre

Bei Paris Match durften Fans von ihren WM-Erlebnissen berichten. Da schwärmt etwa ein Vater, vor dem Turnier hätten seine Töchter mit Mühe Wendie Renard gekannt. „Jetzt kennen sie fast das gesamte französische Team auswendig, in nur wenigen Wochen.“ Für die vielen Mädchen, die zuletzt in die Stadien kamen, ist dieses Turnier ein Aha-Erlebnis. Es war ein vergleichsweise sehr junges WM-Publikum, und sehr weiblich. Vielleicht wächst da was.

Der französische Verband hat durchaus Pläne für Nachhaltigkeit gemacht. Ein Budget von 15 Millionen Euro wird den Vereinen nach der WM zur Verfügung gestellt, um in die Nachwuchsarbeit zu investieren; gezielt soll die Zahl kickender Mädchen gesteigert werden. Im Zuge der WM wurde ein Chemiekonzern als Ligasponsor präsentiert, der für die nächsten drei Spielzeiten je 1 Million Euro investiert. Und seit dieser Saison zeigt Canal Plus ausgewählte Ligaspiele live. Die Aufmerksamkeit soll nicht versanden wie nach der WM in Deutschland, es herrscht Bewegung. Aber es gibt auch Zweifel. Die Ligaspiele hätten derzeit „ein paar Hundert Zuschauer, wenn nicht gerade Paris gegen Lyon spielt“, schreibt die Libération. Und im Vergleich zu England und vielleicht sogar Spanien bleibt als extremes Hindernis die auch fußballerische Zentralisierung Frankreichs. Wo die Männerliga aus PSG plus Rest besteht, wird es schwer, eine ausgeglichene Liga zu kreieren und Klubs zur Professionalisierung des Frauenfußballs zu verpflichten. In der Frauenliga herrscht ein Duopol: Olympique Lyon und das aufstrebende PSG mit Rekord­gehältern und mutmaßlich bald Millionenverträgen, dahinter eine riesige Lücke. Wer soll sie schließen?

Zwischen Tabellenplatz zwei und drei lagen zuletzt fast 20 Punkte. Zwei starke Oasen überdecken Mängel in der Breite, und der fehlende WM-Zuspruch etwa an der Côte d’ Azur zeigte, dass ganze Regionen vom Frauenfußball recht unbefleckt bleiben. Will die Liga mehr Zuschauer anziehen, muss in die Provinz investiert werden. Für echte Aushängeschilder reichte die WM-Zeit nicht; damit auch Renard oder Diani neben Mbappé in Kinderzimmern hängen, hätte es schon der WM-Titel sein müssen. „Wir dürfen den Zug nicht verpassen“, warnte zuletzt Eugénie Le Sommer. Die WM war der Steilpass, die Arbeit der Verwertung beginnt jetzt.

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