die nachricht: EuGH verlangt präzisere Messstellen für Schadstoffe
Bürger können durchsetzen, dass Luftschadstoffe an den Orten gemessen werden, wo die Belastung am stärksten ist. Deutsche Umwelthilfe wirft deutschen Städten Tricksereien vor
Das Neue
Bürger haben einen Anspruch darauf, dass die Messung von Luftschadstoffen an den richtigen Stellen stattfindet, also auch dort, wo die Belastung am größten ist. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Fall aus Belgien mit Wirkung für die gesamte EU festgestellt.
Außerdem stellte der EuGH klar, dass ein Luftreinhalteplan schon dann aufzustellen ist, wenn der Jahresmittelwert an einer einzigen Messstelle nicht eingehalten wird. Es ist nicht erforderlich, dass die Grenzwerte im Schnitt aller Messstellen einer Stadt überschritten werden.
Der Kontext
Die EU-Luftqualitäts-Richtlinie zwingt die Staaten der Europäischen Union zu Gegenmaßnahmen, wenn Grenzwerte für Schadstoffe (Schwefeldioxid, Stickoxide, Feinstaub, Blei, Benzol und Kohlenmonoxid) überschritten werden. Maßgeblich hierfür sind die Ergebnisse von Messstellen. Dabei müssen die Messstationen laut Richtlinie einerseits die normale Belastung einer Stadt abbilden, andererseits aber auch die Stellen der größten Last (insbesondere durch Verkehr und Industrie verursacht).
In der Stadt Brüssel war die Auswahl der Messstellen umstritten, weshalb vier Umweltschützer mit Hilfe der Organisation Client Earth klagten. Ein Brüsseler Gericht legte den Fall beim EuGH vor, der nun die Luftqualitäts-Richtlinie auslegte.
Danach haben Bürger einen individuellen Anspruch darauf, dass an den richtigen Stellen gemessen wird, also auch an den Stellen, an denen die „höchsten Konzentrationen der fraglichen Schadstoffe“ auftreten, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist. Die Auswahl könne von den örtlichen Gerichten überprüft werden, argumentierte der EuGH. Die Vorgaben der EU-Richtlinie seien konkret genug.
Umstritten war in Brüssel auch, ob ein Luftreinhalteplan bereits erforderlich ist, wenn nur einzelne Messstellen überhöhte Werte zeigen oder ob es auf den Schnitt aller Messstellen ankommt. Der EuGH entschied, dass der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren nur gewährleistet ist, wenn jede Überschreitung der Grenzwerte zu Gegenmaßnahmen der Behörden führt. Welche Gegenmaßnahmen erforderlich sind, spielte in diesem Verfahren keine Rolle.
Die Reaktionen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft deutschen Behörden Tricksereien vor. Sie hat schon vorige Woche den Freistaat Bayern verklagt, um eine Verschärfung des Luftreinhalteplans für Nürnberg zu erreichen. Dort werde teilweise an den falschen Straßen gemessen. Nach dem EuGH-Urteil kündigte die DUH weitere Klagen an.
Die Konsequenz
Keine direkte. Im Vorjahr wurde in Deutschland aber von wirtschaftsnahen Kreisen kritisiert, dass die Messstellen „zu hohe“ Werte messen, etwa weil sie zu nahe an Kreuzungen stehen. Das Bundesumweltministerium hat die Messstellen inzwischen evaluiert. Das Ergebnis wird im Juli vorgestellt.
Christian Rath, Freiburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen