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Grünen-Politikerin über Organspenden„Ein zentrales Element von Würde“

Der Gesetzentwurf mit Widerspruchslösung ist ein Eingriff in das ­Selbstbestimmungsrecht, sagt die Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther.

Ist die Widerspruchslösung der Weg zu mehr Organspenden? Foto: dpa

taz: Frau Kappert-Gonther, haben Sie einen Organspendeausweis?

Kirsten Kappert-Gonther: Ja, und da steht drauf, dass ich im Fall meines Todes Spenderin sein will …

Aber warum treten Sie dann mit Ihrem Gesetzentwurf gegen den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an, der die Zahl der Organspenden steigern soll?

Ich bin für Organspende. Und es ist notwendig, die Zahl der realisierten Organspenden in Deutschland zu verbessern: Rund 10.000 Menschen warten hier auf ein Spende-Organ – und es stehen deutlich zu wenige zur Verfügung.

Aber?

Um die Organspenderate zu verbessern, sind zwei Dinge entscheidend: Strukturen und Vertrauen. Die Strukturen in den Krankenhäusern müssen verbessert werden. Die sind das A und O, und sind im Frühjahr endlich gesetzlich reformiert worden.

Dann ist das ja kein Argument mehr gegen die Widerspruchslösung …

Das Gesetz zur Verbesserung der Strukturen kann aber nur Wirkung entfalten, wenn, Punkt zwei, das Vertrauen der Bevölkerung ins Organspendenwesen hoch ist. Das Vertrauen wird durch die Widerspruchsregelung gefährdet. Entscheidender ist aber: Die Widerspruchsregelung ist ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Den lehne ich ab.

Wieso, die Entscheidung wird doch aktiv eingeholt?

Nein. Der Entwurf des Bundesgesundheitsministers reduziert sogar die Informationspflicht: In dieser zutiefst persönlichen Frage auf Uninformiertheit zu setzen, finde ich unredlich. Das Fehlen einer Antwort würde als Ja gewertet: Selbst wenn ich jemandem meinen Newsletter zuschicken will, brauche ich dessen schriftliche Einwilligung, was ich richtig finde. Aber: Wenn es darum geht, wer bestimmt über meinen Körper, was geschieht mit meinen Organen nach meinem Tod, werfen wir diese Regeln einfach über Bord? Das wäre absurd! Schweigen darf nicht Zustimmung bedeuten, nicht in einer so persönlichen und tiefgreifenden Entscheidung über die letzten Dinge des Lebens.

Im Interview: Kirsten Kappert-Gonther

52, promovierte Medizinerin und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Bundestagsabgeordnete seit 2017, Sprecherin für Drogenpolitik und Gesundheitsförderung der Grünen-Fraktion. Zuvor war sie sechs Jahre lang Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.

Ist das eine Frage der Menschenwürde oder der Entscheidungsfreiheit?

Das hängt miteinander zusammen: Die Selbstbestimmung über die letzten Dinge ist ein zentrales Element von Würde. Sie ist auch ein ganz zentrales Element von demokratischer Gesellschaft.

Allerdings sagt die ja: Organspende ist gut, und trotzdem gibt’ s zu wenig Spenderausweise. Ist der Eingriff in die Entscheidungsfreiheit denn so groß, wenn die Entscheidung latent gefallen ist, bloß nicht artikuliert wurde?

So eine Entscheidung lässt sich nicht aus einem Konsens ableiten, sie muss immer individuell getroffen werden. Es gibt Menschen, die sich zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens nicht entscheiden können.

Wer?

Das sind zum Beispiel Menschen in seelischen Krisen oder mit psychischen Erkrankungen. Sie sind in der Regel in dieser Situation damit überfordert, sich mit der Frage der Organspende zu befassen. Oder Menschen, die extrem von ihrem Alltag beansprucht sind, durch die Suche nach einer Wohnung, durch Kinderziehung. Es gibt sehr viele Gründe, warum man sich in bestimmten Phasen des Lebens mit letzten Fragen nicht auseinandersetzen kann.

Und die Betroffenen würden zur Verfügungsmasse?

Wenn die Widerspruchsregelung scharf gestellt wird, heißt das: Wer nicht widersprochen hat, hat zugestimmt. Wer nicht imstande war, zu widersprechen, ist dann potenzieller Organspender. Das halte ich für unlauter.

Wenn die Widerspruchsregelung in 20 von 28 Staaten der EU gilt, warum soll sie in Deutschland ein Problem sein?

Die Frage impliziert, dass die Widerspruchslösung die Organspendequote erhöhen würde – und das ist nachweislich nicht der Fall, das hat eine britische Studie gerade erst eindrucksvoll gezeigt.

Sie hätte gar nicht den erwünschten Effekt?

Nein, sie hat tatsächlich keinen Einfluss auf die realisierte Organspenderate. Wir waren mit dem Gesundheitsausschuss in Spanien, um vom Organspendeweltmeister zu lernen.

Der eine Widerspruchslösung hat!

Ja, auf dem Papier.

Aber?

Alle, mit denen wir gesprochen haben, sowohl der Direktor des größten Organspendezentrums als auch die Fach-PolitikerInnen sowie die Chefin der dortigen transplantationsmedizinischen Organisation, Beatriz Domínguez-Gil, haben uns mitgeteilt, dass die Widerspruchslösung zwar im Gesetz verankert ist, aber nicht praktiziert wird.

Was heißt das?

Das bedeutet, keinem Menschen wird in Spanien im Todesfall ein Organ entnommen, wenn nicht entweder eine ausdrückliche Erklärung vorliegt oder die Angehörigen glaubhaft versichern können, dass es im Sinne des Verstorbenen wäre, die Organe zu entnehmen. Das hat uns Professorin Domínguez-Gil in interner Anhörung im Bundestag kürzlich noch einmal ausdrücklich versichert.

Trotzdem müssen Sie doch am Missverhältnis zwischen der hohen Zahl derer, die spenden wollen – und der kleinen Zahl, die das nur mit einem Spenderausweis bekundet, ansetzen. Woher kommt das?

Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe. Es fällt grundsätzlich schwer, sich mit den Fragen des eigenen Tod auseinanderzusetzen. Keiner von uns weiß, wie es ist, nach unserem Tod. Und die meisten haben wenig Vorstellung davon, was Transplantationsmedizin bedeutet. Auch gibt es sicher eine gewisse Trägheit, sich einen Organspendeausweis zu besorgen. Da setzt unser Gesetzentwurf an.

Konkret?

Jeder Mensch, der einen Pass oder Perso beantragt oder verlängert, wird direkt in der Behörde gebeten sich der Frage zu stellen, ob man Organspender sein will. Dort findet keine Beratung statt. Dafür schaffen wir die Möglichkeit der medizinischen Aufklärung: Hausärzte sollen vertiefende Patientengespräche zum Thema Organspende anbieten und abrechnen können. So werden mehr Menschen erreicht. Das wird die Lücke nicht komplett schließen, aber deutlich verringern.

Und wenn ich nicht im neuen zentralen Digital-Register auftauchen will, verfällt mein Spenderausweis?

Nein, und auch das ist ein entscheidender Vorteil unseres Vorschlags: Wir sagen, es muss alles möglich sein. Der herkömmliche Organspendeausweis muss weiterhin gelten, aber auch ein ganz normaler Zettel, auf dem steht, ob man Spender sein will, oder nicht.

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10 Kommentare

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  • Selbstbestimmung ist bla. Man muss da schon konkret und genau hinsehen. Die Selbstbestimmung des Menschen wird doch permanent gesetzlich beschnitten, das ist kein abstrakter und kein absolutet Vorgang. Klar ist die Widerspruchsregelung ein Eingriff in die Selbstbestimmung, aber was ist daran so schlimm? Der Eingriff ist sehr gering und bitteschön, wer von uns ist denn wirklich permanent in psychischen Krisen und vom Alltag derartig in Anspruch genommen, dass er nicht widersprechen kann? Natürlich kann man widersprechen, das ist legitim, sich vor kleineren Kollisionen mit dem eigenen Selbstbild zu drücken hingegen nicht. Hier geht es immerhin um Menschenleben.

    • @Benedikt Bräutigam:

      "Der Eingriff ist sehr gering und bitteschön, wer von uns ist denn wirklich permanent in psychischen Krisen und vom Alltag derartig in Anspruch genommen, dass er nicht widersprechen kann?"

      Das ist jetzt ein Witz, oder? Von den Lebensrealitäten von großen Teilen des Prekariats scheinen Sie ganz offensichtlich herzlich zu verstehen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Diese Frage ist keine einfache.



    Im Gegensatz zum Empfang eines Newsletters hängt von der Organspende kein Leben ab.



    Die Widerspruchsregelung kann nur dann diskutabel sein, wenn Organe nur entnommen werden dürfen, wenn die Identität der Spender*in eindeutig geklärt ist.

    Eine Patientenverfügung sollte indes zum Standard werden. Die Sozialkassen sollten die Anwaltsgebühren oder die für einen Notar übernehmen. Bei dieser Gelegenheit kann dann auch das mit der Organspende geklärt werden. Die Angehörigen entscheiden zu lassen ist erstens feige und zweitens manchmal auch nicht im Interesse der Betroffenen.Ich kenne jedenfalls genug kaputte Familien.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Mit einer eindeutigen Klärung der Identität meine ich auch, das eindeutig festgestellbar sein muss, dass die Spender*innen vor ihrem Tod wussten, wer sie waren. Wer selbst nicht weiss, wer er oder sie ist, dessen persönliche Identität ist nicht feststellbar. Nach wessen Kriterien denn?

      Das ist eine ziemlich hohe Hürde und ich denke, dass damit die Widerspruchslösung in der Praxis wenig Sinn machen würde.

  • Die Widerspruchslösung ignoriert die Transplantationsmedizin Wirklichkeit, die u. a. darin besteht, selbst Personen mit diagnostiziertem Hirntod künstlich am Leben erhalten zu müssen, am Sterben zu hindern, weil nur die Entnahme von lebenden Organen tauglich für Transplantation ist. Das geht nicht ohne vorliegende Einwilligung von Personen. Dagegen steht oft vorliegend erklärter Wille betreffender Personen, im bestimmten Fall nicht mehr künstlich am Leben gehalten zu werden, um in Ruhe sterben zu können.

    Insofern täuscht die Widerspruchslösung Effizienz und Wirklichkeit vor, die es s. Spanien mit Widerspruchslösung ohne vorliegende Einwilligung letztlich gar nicht gibt.

    Darüberhinaus verweist Kirsten Kappert-Gonther Grüne zu recht darauf, dass durch die Widerspruchslösung ein fataler Paradigmenwechsel in Fragen der Selbstbestimmung mit weitreichenden Folgen vonstatten geht u. a. für gegenwärtig 80 000 Personen, die in Deutschland unter gesetzlicher Betreuung stehen, bei überfordert gesetzlichen Betreuern mit hoher Fallzahl absehbar zur unbefragten Verfügungsmasse werden.

    Ganz abgesehen der Personen, die obdachlos aufgegriffen, bzw. in Obdachlosen- , Flüchtlingsheimen, JVAs, Reha-Zentren, Kliniken in sog öffentlichen Unterkünften verweilen.

    Während gleichzeitig letzte Hindernisse für nichtzertifizierten Organimport aus aller Welt in die EU durch die Widerspruchslösung intranparent geschliffen werden, diesem weltweiten Organhandel Tür und Tor öffnen?

    Die Widerspruchslösung löst nicht nur nicht die bisherige Organspende Problematik, wie es Gesundheitsminister Jens Spahn enthusiastisch verspricht, sondern sie schafft rechtlich neue Probleme, ohne das eigentliche Problem zu adressieren, dass in Kliniken, mangels monetärer Anreize, ausgebildetem Personal nicht einmal Ressourcen zur Prüfung zeitnah abrufbar sind, wo, wann für wen ein Organ angefordert, welche Personen mit ohne Spenderausweis überhaupt für Organentnahme im bestimmten Fall X tauglich sind.

  • Die Spendenbereitschaft in Deutschland ließe sich erheblich steigern, würde mindestens folgende Punkte erfüllt werden:

    I. Sicherstellung, dass es hinsichtlich der Vergabe zu keiner Diskriminierung und Benachteiligung kommt, welche nicht allein streng medizinisch begründet ist.



    II. Transparenz uns Sicherstellung, dass mit dem/der SpenderIn bis zuletzt würdevoll umgegangen wird.



    III. Mit großer Reichweite betriebene Aufklärung, was Hirntod bedeutet und mit Studien unterlegte Nachweise, dass mit dem Hirntod auch sicher ein wie auch immer geartetes Leiden des spendenden Körpers ausgeschlossen ist.



    IV. Postitive Zustimmung der Religionsvertreter, dass Organspende mit dem Glauben vereinbar ist.

    • @tazeline:

      Punkt V. Nur wer selber Organspender ist, ausgewiesen durch gültigen Organspendeausweis, kann auch Empfänger von Organspenden werden.

      • @sb123:

        @SB123 Super Idee. Und wer nicht als förderndes Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr ist, kann im Notfall halt zusehen, wie seine Hütte abbrennt. Wir stöhnen immer über so viele Einsätze, aber das Leben kann ja so einfach sein.

      • @sb123:

        Was dann halt tatsächlich nur noch widerlich ist. Jeder Mensch sollte im Notfall die bestmögliche und machbarare Unterstützung bekommen, vollkommen unabhängig davon, welche Entscheidungen er getroffen oder charakterlichen Merkmale er vorzuweisen hat. Alles andere ist schlicht unmenschlich. Und die anzahl der Organspender eird es auch nicht erhöhen, weil die meisten der Menschen immer denken werden "kann/wird mir eh nicht passieren". Bis es dann halt passiert.

        • @Snip Snap:

          Einfache Situation.



          Sie sind todkrank und brauchen dringendst eine Organspende.



          Vor ihnen auf der Warteliste sind 2500 Menschen, bis sie dran wären, sind sie schon längst tot. Und warum?



          Das Gesundheitssystem mit seinem Organspendewesen ist eine Solidargemeinschaft, und die kann nur dann funktionieren, wenn die breite Mehrheit bereit ist, ihren Beitrag zu leisten. Diese oben ausgeführten Erklärungen, warum die Menschen keine Spendeausweis haben. Himmel her je, ich bin auch oft genug extrem von meinem Alltag beansprucht. Ich war schon eine dutzend mal auf der Suche nach einer Wohnung, Ich habe zwei Kinder groß gezogen.



          Ich kann diese ganzen blöden Ausreden nicht mehr hören.