Menschen mit Behinderung in Bremen: Endstation Werkstatt
Der Landesbehindertenbeauftragte wendet sich mit 31 Forderungen an die koalitionswilligen Parteien. Besonders wichtig ist ihm das Thema Arbeit.
Mangelnde Akzeptanz sieht Joachim Steinbrück, Landesbehindertenbeauftragter in Bremen, für seine Arbeit eigentlich nicht – eher mangelnden Ehrgeiz: „Ich glaube, viele Politiker wollen mit dem Thema kein Problem bekommen. Politisch korrekt bekennen sich eigentlich alle dazu“, sagt er. „Das beherzte Eingreifen fehlt mir aber oft. Man muss viele Politiker zum Jagen tragen.“
Aktuell hat Steinbrück für diese Aufgabe einen Katalog mit 31 Forderungen für die nächste Legislaturperiode aufgestellt. Bessere Zugänge zu Theater und Museen, eine gute Ausstattung mit SonderpädagogInnen an Bremer Schulen, die Möglichkeit einer ambulanten Psychiatrie und ausreichend rollstuhlgerechte Wohnungen – alle Ressorts werden mit Vorschlägen bedacht, schließlich ist Inklusion themenübergreifend.
Für besonders drängend hält Steinbrück das Thema Arbeit. Neunzig Prozent der SchülerInnen mit Behinderung besuchen die Schule in Bremen gemeinsam mit nicht beeinträchtigten MitschülerInnen, nirgendwo im Bund ist die Inklusionsquote höher. Bloß: Mit dem Schulabschluss endet oftmals auch die Inklusion. Sie wird ersetzt durch Werkstufe und Werkstatt.
Dieter Stegmann, LAG Selbsthilfe behinderter Menschen Bremen
Dabei ist es nicht so, dass Bremen sich um diesen Bereich nicht bemühen würde: Im öffentlichen Dienst sind immerhin sechs Prozent der Beschäftigten schwerbehindert. „Der öffentliche Dienst ist damit aber der einzige Bereich, in dem die Quote erfüllt wird“, bemängelt Dieter Stegmann, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen. Durch die Ausgleichsabgabe kaufen sich Unternehmen von der Fünf-Prozent-Quote frei, der tatsächlich erreichte Durchschnitt liegt in Bremen bei unterdurchschnittlichen 3,8 Prozent.
Ein Mittel, das Abhilfe schaffen soll, ist das Budget für Arbeit: Die Summe, die das Land sonst für einen Werkstattplatz ausgeben würde, kann ein Arbeitnehmer mit Behinderung direkt nutzen, um sich bei Arbeitgebern quasi einzukaufen. „Das Verfahren dafür ist allerdings sehr kompliziert, der einzelne Beschäftigte bekommt das kaum hin“, so Stegmann. Und selbst mit Budget seien viele Menschen mit Behinderung für den ersten Arbeitsmarkt nicht gerüstet: „Der gemeinsame Besuch der Schule ist eine tolle Chance – aber es heißt eben noch nicht, dass jeder danach qualifiziert ist für eine Ausbildung.“
Das sieht auch Steinbrück. Werkstätten abzuschaffen komme deshalb nicht in Frage. „Doch die Zahl derjenigen, die dort nicht hin wollen, scheint zuzunehmen.“ Damit Werkstätten den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erleichtern können, fordert Steinbrück für den Koalitionsvertrag eine Anlaufstelle innerhalb der Werkstatt, die Beschäftigte und potenzielle Arbeitgeber berät und zueinander bringt. „Anderswo gibt es so etwas schon erfolgreich.“
Auch ohne Arbeit ist der Alltag vieler Menschen mit Behinderung kompliziert genug. Auch wenn bremisches Behindertengleichstellungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention Teilhabe festschreiben, sieht die Realität an vielen Stellen noch ganz anders aus. Vor allem viele Altbauten sind schwer oder gar nicht erreichbar. Wie viele genau, das weiß keiner. Bis 2023 soll es dauern, bis die Bestandsaufnahme zu Barrieren im öffentlichen Raum abgeschlossen ist. Dass sich danach viel ändert, ist nicht gesagt, eine Zusage für Sanierungsgelder gibt es nicht.
Und so ist eine ganz wichtige weitere und wenig verwunderliche Forderung von Steinbrück die nach Geld, damit „die festgestellten Barrieren in Bestandsgebäuden tatsächlich schrittweise abgebaut werden können.“ Ob die politische Korrektheit der PolitikerInnen bis in die Haushaltsberatungen im Koalitionsvertrag reicht, ist nun die nächste spannende Frage.
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